Ein Freund beichtete mir neulich, dass ihn Sex ganz schön stresst.
Bei meiner Recherche habe ich herausgefunden, dass es vielen Männern so
geht.
Stefan traf also diese Frau. An irgendeinem Abend, in irgendeiner Berliner Bar. Dunkle Haare, helles Lachen, herausfordernder Blick und diese Beine ... Noch auf ein Bier zu ihm, den Blick über die nächtlichen Konturen der Stadt gleiten lassen, und dann. Glaubt man zu wissen, was kommt. Oder? „Es war eine Vollkatastrophe", sagt Stefan. „Sie fand's richtig scheiße. Dass ich nicht vögeln wollte. Hat sich gar nicht mehr eingekriegt."
Es ist ein anderer Abend, irgendwann danach, in irgendeiner anderen Bar, als Stefan mir erzählt, das sei ihm schon öfter begegnet: So eine ungläubig-empört-verstörte Reaktion darauf, dass er, als heterosexueller Mann, ihr nicht sofort und nachdrücklich an die Wäsche wollte. Oft habe er dann einfach „performt". Er habe sich viele Techniken antrainiert, um zu überspielen, dass er im Grunde nicht so der „Sportficker" ist. „Eigentlich habe ich da keinen Bock drauf. Aber das zuzugeben ist halt ... naja ... schwierig."
Zum ersten Mal erzählt mir ein Mann, dass ihn die Geschichte von der unbändigen männlichen Lust belastet, die Mär von den Herren der Schöpfung, die immer wollen, immer können, immer kommen. Könnte es sein, frage ich mich, dass es nicht nur Stefan so geht? Dass mehr Männer darunter leiden, dass sie glauben, ein ganz bestimmtes, penis-fixiertes Sex-Rezept - vorwärmen, reinschieben, Luft anhalten und dann Lichter an, Ofen aus - nachahmen zu müssen? Dass sie im Bett gar nicht machen, worauf sie wirklich Lust haben?
Ich erkundige mich bei Männern in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Kennt ihr das? Den von Stefan beschriebenen Sex-Stress? Die Antworten beschränken sich auf peinlich berührte Gesichter, Schulterzucken, Weiß-Nichts. Ja, doch, es sei schon blöd, immer den ersten Schritt machen zu müssen, immer die Verantwortung zu tragen beim Flirten oder wenn's zur Sache geht. Frustration schwingt mit. Aber das mit dem Sex sei doch - wahrscheinlich? - etwas sehr Individuelles. Darüber Details preisgeben - lieber nicht. Schon klar: Dass man es im Bett nicht so bringt, wie man glaubt zu sollen, das plaudert man nicht so nebenbei aus.
„Ach was, nicht nur den ersten Schritt muss man machen, auch den zweiten und dritten. Als Mann muss man die Kontrolle über die Situation an sich reißen. Sie pflücken und flachlegen. Egal wie feministisch die Frauen sind. Wie soll das gehen, wenn man gleichzeitig die Grenzen der Frauen respektieren will?!" Jesper (31), in einer Bar
Aber vielleicht ist die Redelust online größer. Ich begebe mich an einen der virtuellen Orte, an denen heutzutage immer mehr reale Geschlechtsannäherungen eingefädelt werden: OkCupid gilt als besonders liberale Online-Dating-Plattform, als besonders offen für verschiedene Sexualitäten und Geschlechtsentwürfe. Hier schreibe ich heterosexuelle Männer zwischen 20 und 50 an und frage: „Kennt ihr das, Leistungsdruck im Bett?" Sehr viel mehr Männer antworten, als ich erwartet hätte. (...)
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