Jungen, die Röcke tragen, oder Mädchen, die zwei Mütter haben - der "Koffer der kunterbunten Lebenswelten" beinhaltet Geschichten über Kinder, die in unserer Gesellschaft vorkommen, aber bisher nur selten repräsentiert werden. Carmen Schiller, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Würzburg, erklärt das Konzept des Koffers: "Der Name wurde bewusst ausgesucht, weil hinter ihm das Konzept steht, dass bestimmte sensible Themen, etwa die unterschiedlichen Lebensrealitäten, die in unserer Gesellschaft stattfinden, widergespiegelt und ohne erhobenen Zeigefinger den Kleinsten vermittelt werden sollen." 26 Bücher enthält der Lesekoffer, den Schiller an das "Kinderhaus Wiesenwichtel" in Hettstadt übergeben hat. Diesen und einen weiteren Koffer, der neben den Geschichten auch Fachbücher für das Personal enthält, verleiht die Gleichstellungsbeauftragte monatsweise an interessierte Kindergärten im Landkreis.
Figuren in Kinderbüchern weichen nur selten von der Norm abBisher sind Figuren, die von der Norm abweichen, Seltenheit in Kinderbüchern. Dr. Lars Burghardt vom Lehrstuhl für Frühkindliche Bildung und Erziehung der Universität Bamberg hat mehr als 6.000 Figuren aus 133 Kinderbüchern analysiert. Bis auf wenige Ausnahmen seien die Darstellungen, besonders der Geschlechter, stereotyp und wenig divers. Burghardt sagt: "Es gibt bei Feuerwehrbüchern durchaus die Quotenfrau. Aber von unseren über 6.000 analysierten Figuren waren die meisten klassisch geschlechterstereotyp dargestellt. Das heißt, Frauen bei Haushaltstätigkeiten und bei der Erziehung von Kindern. Männer waren zwar auch im Haushalt da, haben aber nichts getan im Sinne von Erziehung oder Haushalt." Jungen seien weitestgehend als mutig und störrisch beschrieben worden, Mädchen als schüchtern und ängstlich. Ein weiteres Problem ist laut Burghardt, dass sich Kinder, die von der Norm abweichen, also beispielsweise nicht weiß sind oder eine körperliche Einschränkung haben, nicht repräsentiert fühlen.
Alle Bücher tragen zu einer vielfältigen Erziehung beiAnders ist dies bei den Geschichten des "Koffers der kunterbunten Lebenswelten". Die Bücher thematisieren kindgerecht sensible Themen, wie psychische Erkrankungen oder Rassismus. Für Erzieherin und Kindergarten-Leiterin Annette Beck ist die frühe Sensibilisierung wichtig: "Wenn wir bei den jüngsten Kindern anfangen, haben wir einfach eine große Chance, eine Normalität in unterschiedliche Lebensmodelle zu bringen. Kinder gehen sehr schlicht und kreativ mit unterschiedlichen Lebensmodellen um." Dabei bedeutet diverse Erziehung nicht - wie Kritiker befürchten - dass Klassiker und Märchen nicht mehr zeitgemäß sind. Pädagoge Burghardt erklärt: "Ich würde nie sagen, es braucht nur noch politisch korrekte Bilderbücher oder es darf keine Märchen geben. Im Gegenteil: Man kann die auch wunderbar nutzen, um darüber zu reden." So sei ein rosa Glitzerbuch auch ideal, "um mit Mädchen darüber zu reden, ob man jetzt eigentlich weniger Mädchen ist, wenn man kein Rosa mag."