»Die Pläne waren sehr konkret«
Seit einiger Zeit häufen sich die Informationen
über rechte Netzwerke in der Bundeswehr. Wie beurteilen Sie die
bisherige mediale und gesellschaftliche Resonanz?
In den letzten Wochen erschien eine Reihe von Berichten, an der Spitze
in der Taz und im Focus, zu diesem rechtsterroristischen Netzwerk in der
Bundeswehr, insbesondere in der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte
(KSK), aber möglicherweise auch unter Beteiligung von Polizeibeamten,
Reservisten und anderen. Im politischen Raum habe ich kaum eine Resonanz
feststellen können. Wer sich schon länger mit diesen Netzwerken
beschäftigt und diese Gefährdung ernst nimmt – und davon gibt es einige
–, fragt sich, wo eigentlich der berechtigte Aufschrei bleibt. Das
Verteidigungsministerium, das Innenministerium und die Bundesregierung
schweigen sich aus, als ginge es hier um ein Randthema.
In dem rechten Netzwerk soll es sogenannte Todeslisten von
linken Politikern und bekannten Aktivisten gegeben haben. Sie sollten an
einem »Tag X« hingerichtet werden. Wie ernst nehmen Sie dieses
Vorhaben, soweit sich das aufgrund bisheriger Erkenntnisse sagen lässt?
Das ist das ganz große Problem. Wir wissen bis heute nicht genau, wie
viele dieser sogenannten Todes- oder Feindeslisten es gab oder gibt, wer
alles genau auf ihnen stand oder inwieweit einzelnen Personen
nachgestellt wurde. Ob man zum Beispiel auch Lichtbilder zu diesen
Personen gesucht hat oder möglicherweise deren Büros oder Wohnräume
ausspioniert wurden. Der Generalbundesanwalt verweigert die Herausgabe
seiner Kenntnisse mit Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren. Das
wird der Bedrohungslage aber überhaupt nicht gerecht. Ich denke, wenn
den Behörden Kenntnisse über die Namen auf den Listen vorliegen, müssen
die gefährdeten Personen informiert werden. Man muss klären, ob sie in
den letzten Wochen und Monaten Auffälligkeiten bemerkt haben.
»Wir haben es mit mit Strukturen zu tun, die weder der Militärische Abschirmdienst noch der Verfassungsschutz auf dem Schirm hatte – oder haben wollte.«
Die britische Boulevardzeitung »Sun« schreibt, dass Claudia
Roth von den Grünen auf einer solchen Liste gestanden haben soll. Wissen
Sie, ob das stimmt?
Nein, das weiß ich nicht. Wir wissen von Listen, die im Netzwerk von
Franco A. bei ihm selbst und bei einem weiteren Mitglied des Netzwerks,
Maximilian T., gefunden wurden. Darin fanden sich konkrete Hinweise,
dass der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck ausgespäht wurde, auch
Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung war dabei, Politiker der
Linkspartei hier in Berlin und Thüringens Ministerpräsident Bodo
Ramelow. Dietmar Bartsch soll auf einer Liste bei dem
rechtsterroristischen Netzwerk Nordkreuz in Mecklenburg-Vorpommern
gestanden haben. Diese Liste hat die Polizei aber nicht gefunden. Einer
der Beschuldigten hat im Rahmen polizeilicher Vernehmungen ausgesagt, er
könne sich daran erinnern, dass Bartsch ganz oben auf der Liste
gestanden habe. Es scheint, als habe es eine Art Arbeitsteilung in dem
aktuellen Fall gegeben hat. Das Netzwerk war wohl bundesweit in vier
Sektionen aufgeteilt, Nord-, Süd-, Ost- und Westkreuz. Franco A. und
Maximilian T. sollen zu Südkreuz gehört haben. Die Sektionen haben sich
natürlich jeweils mit den Personen vor Ort beschäftigt, die aus ihrer
Sicht zu den inneren Feinden gehören und am besagten Tag X liquidiert
werden sollen.
Die Pläne waren offenbar sehr konkret. Es gab für den Tag X regelrecht Anweisungen. Man stellte sich eine Art nationalen Katastrophenfall vor. Die Mitglieder dieses Netzwerks sollten an diesem Tag ihre Uniformen anziehen, weil sie damit potentiell schon bestehende Absperrungen passiert können, um dann in Uniform die Zielpersonen auf den Listen zu Hause abzuholen. Den abzuholenden Personen wird zunächst gesagt, sie würden wegen des Notfalls in Sicherheit gebracht. Sie werden in LKWs eingeladen, an einen bestimmten Ort gefahren – und dort erschossen. Das war wohl der Plan. Ein Polizeibeamter, der Teil der Nordkreuzgruppe gewesen sein soll und inzwischen nicht mehr im Dienst ist, hat ausgesagt, dass er über seinen Zugang beim Landeskriminalamt (LKA) auf Melderegister zugegriffen hat, um konkrete Ziele auszuspähen. Das ließ sich auch anhand der Login-Daten des Computers nachvollziehen.
Rechte in der Bundeswehr sind doch nichts Neues. Waren nicht
die späteren NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos schon dem
Militärischen Abschirmdienst (MAD) aufgefallen?
Wir reden hier von einem anderen Ausmaß. Es geht nicht um irgendwelche
Wehrdienstleistenden oder Rekruten, sondern um Berufs- und
Elitesoldaten, aber auch Angehörige von besonderen Einsatzzügen der
Bereitschaftspolizei und um Beamte der Landeskriminalämter. Diese Leute
verfügen über Wissen, wie man sich auf den paramilitärischen Kampf
vorbereitet. Sie können professionell mit Waffen, auch
Schnellfeuerwaffen, umgehen. Um darauf zu reagieren, müssten die
Offiziellen mit rechten Strukturen in Sicherheitsbehörden und Armee
beschäftigen. Es ist in der Vergangenheit zu wenig gelungen,
entsprechende Vernetzungen zu erkennen und zu unterbinden.
Weil diese Institutionen autoritäre Persönlichkeiten anziehen?
Es gibt zum Beispiel in der Polizei immer eine konkrete Feindbestimmung.
Gegenwärtig verschärft die sich noch unter den neuen Polizeigesetzen,
die auf eine Bürgerkriegssituation im eigenen Land vorbereiten sollen.
Man muss sich fragen, ob das der Nährboden ist, auf dem solche
rechtsterroristischen Strukturen in den Sicherheitsbehörden entstehen
und wachsen. Dazu kommt natürlich die langjährige Erkenn
tnis, dass in diesen Institutionen Rassismus, Sexismus und Militarismus
kein Hindernis, sondern oft sogar unterschwellig einstellungsförderlich
sind. Man begibt sich in männerbündische Strukturen mit ausgeprägtem
Korpsgeist. Dort gehören autoritäre und rechte Ansichten zum guten Ton.
Allen Lippenbekenntnissen zur Demokratisierung zum Trotz hat sich daran
nie grundlegend etwas geändert.
Geht gegenwärtig von diesem Netzwerk noch eine Gefahr aus?
Auf jeden Fall. Es heißt gelegentlich – und das behindert eine ehrliche
Debatte über diese Form des Rechtsterrorismus –, das seien alles Leute,
die doch nur reden und nicht handeln würden. Auch die Todeslisten seien
nur Phantasien – rein theoretische Planspiele. Es bestehe keine reale
Gefahr. Aber dagegen spricht vieles. Beim NSU haben wir gesehen, dass
die Gruppe Tausende Namen auf ihren Listen führte, vor Ort recherchiert
und Ziele auf Stadtpläne markiert hat. Der NSU hat am Ende tatsächlich
gemordet – auf Grundlage solcher Pläne.
Wir wissen nicht, wann diejenigen, die sich auf den Tag X vorbereitet haben, also den Zeitpunkt, an dem der rechte Umsturz stattfinden soll, den Punkt erreicht sähen, dass es so weit ist – welches äußere Ereignis also tatsächlich dazu führen kann, dass diese Gruppe oder auch nur einzelne Mitglieder entscheiden, ihre Stunde sei gekommen. Wir reden in diesem Fall nicht von zehn Leuten, sondern möglicherweise von Hunderten oder mehr, die einer solchen Idee anhängen. Aber selbst wenn wir uns einen Einzelnen vorstellen, der jahrelang in dieser apokalyptischen Vorstellungswelt lebt und glaubt, alles liege jetzt bei ihm und er müsse allein zur Tat schreiten, wäre das potentiell tödlich. Wir sprechen von Leuten, die militärisch ausgebildet sind, zu Hause Schränke voller Waffen besitzen und sich genauestens über ihre Opfer informiert haben, durch alle modernen polizeilichen Methoden der Datenerfassung. Sie halten sich für eine militärische Elite, die letzte Barriere zwischen Ordnung und Chaos, die im Ernstfall noch handeln kann. Es wird in diesem Zusammenhang oft von »einsamen Wölfen« gesprochen, wobei ich das für den falschen Begriff halte.
Weil diese Leute so einsam eigentlich nicht sind und ohne die
Ermutigung durch ihr Umfeld sich nie zu so einer Tat entschließen
würden?
Absolut. Sie haben jahrelang im Rahmen einer Organisation gedacht und
gehandelt, aber sie können den Tatentschluss ganz individuell fassen,
ohne dass irgendetwas von irgendwo angeordnet wird. Trotzdem würde ich
sie letztlich als Bewegungstäter bezeichnen.
So etwa wie der Attentäter von Pittsburgh?
Der kam nicht aus der Armee, aber aus einer Szene, die genau in diesen apokalyptischen Kategorien denkt.
Solche Täter handeln im Sinne einer Idee, auch wenn kein zentraler Befehl ausging, dass nun alle Untergrundgruppen koordiniert losschlagen sollen. Es reicht, dass sie für sich zu dem Schluss kommen, der Tag der großen Abrechnung sei gekommen. Diese Gefahr halte ich für sehr real.
Wie sicher ist derzeit die deutsche Demokratie vor ihren Sicherheitskräften?
Ich habe mich in letzter Zeit viel mit neonazistischen Umtrieben in der
Bundeswehr beschäftigt. Das Phänomen ist nicht neu. Die aktuelle Zahl
der Verdachtsfälle war sehr hoch, etwa 400 waren es im Jahr 2017.
Gerade auch im KSK war das nicht der erste Moment, bei dem man das
Gefühl bekam, da agiert eine Einheit im Sinne der Division Brandenburg
in der Wehrmacht – die sogenannten Brandenburger. Das war eine
Elitetruppe, die sich während des Zweiten Weltkriegs auf einen
paramilitärischen Untergrundkrieg nach einer militärischen Besetzung
vorbereitet hat. Diese Idee wird in der Bundesrepublik seit vielen
Jahrzehnten innerhalb der Armee und innerhalb der Polizei tradiert.
Wie muss man sich das vorstellen?
Es gab eine Phase, in der war das institutionalisiert. Es gab die
Schnez-Truppe Ende der vierziger Jahren, die später in der Bundeswehr
aufging. Das war der Versuch des Aufbaus einer Geheimarmee innerhalb
der Bundeswehr, natürlich auch mit Rückgriff auf Elitesoldaten der
faschistischen Wehrmacht. Diese Geheimorganisation sollte bei einem
Einmarsch der Sowjetunion sympathisierenden Kommunistinnen und
Kommunisten nachstellen und sie umbringen. Eine krasse Parallele zur
Gegenwart: Auch damals schon herrschte die Vorstellung, man müsse
Waffen- und Treibstoffdepots einrichten, Feindeslisten erstellen und die
nötigen Transportmittel requirieren – und sich eben auch auf einen
Tag X vorbereiten, an dem diese Zielpersonen abgeholt werden. Auch
damals spielte schon ein bestimmtes Fallschirmjägerbataillon eine
zentrale Rolle, das in Calw in Baden-Württemberg stationiert war.
Also da, wo heute auch das KSK stationiert ist?
Exakt. Dieses Fallschirmjägerbataillon war auch der Ausgangspunkt für
die Gründung des KSK. Das ist keine Verschwörungstheorie. Diese Idee
pflanzt sich innerhalb der Armee fort. Sie speist sich aus
Antikommunismus, der Vorstellung, man brauche eine Elitegeheimarmee, und
dieser immer wiederkehrenden Fixierung auf einen Tag X. Diese
Konstellation kehrt in unterschiedlicher Form immer wieder.
Wir hatten Vorfälle im KSK mit dem ehemaligen General Reinhard Günzel,
der mit seinem Buch »Geheime Krieger« die Division Brandenburg geradezu
verehrt. Dann gab es einzelne Angehörige, die bei Feiern den Hitlergruß
gezeigt haben. Es gab im Jahr 2000 den Fall eines ehemaligen
KSK-Soldaten, der einen Überfall auf die Bundeswehr verübt hat, um dort
Waffen und Munition zu erbeuten.
Um die gegenwärtige Situation genau bewerten zu können, muss man
natürlich auch die Ermittlungen abwarten. Aber es zeichnet sich bereits
ab, dass der Einfluss dieser Netzwerke sehr viel größer ist als in den
vergangenen Jahren. Möglicherweise tarnt sich innerhalb des Vereins
ehemaliger Spezialkräfte, Uniter e. V., in Wirklichkeit die
Dachorganisation dieser ganzen Gruppen Nord-, Süd-, Ost- und Westkreuz.
Nicht alle 1 800 Mitglieder werden Teil dieser klandestinen Struktur
sein. Aber das ist ein Reservoir, aus dem man diejenigen rekrutieren
kann, die möglicherweise bereit sind, bei Umsturz- und Mordplänen mit
loszuschlagen. Das heißt, es sind keine Einzelfälle und auch keine
Verwirrten. Wir haben es aber tatsächlich mit Strukturen zu tun, die
weder der MAD noch der Verfassungsschutz auf dem Schirm hatte – oder
haben wollte. Das ist ja immer die große Frage. Entweder wussten sie
nichts oder sie haben diese Strukturen mit Spitzeln durchsetzt und aus
Gründen des Quellenschutzes oder der Informationsgewinnung versäumt,
rechtzeitig die Strafverfolgungsbehörden davon in Kenntnis zu setzen,
was dort vorging.
Der Verfassungsschutz war gegenüber den
NSU-Untersuchungsauschüssen nicht besonders kooperativ. Wie läuft das
bei der Bundeswehr?
Ich gehöre zwar nicht dem Verteidigungsausschuss an, die
parlamentarische Aufklärung läuft hauptsächlich dort und nicht im
Innenausschuss, wo ich Mitglied bin. Aber was ich von meinen Kollegen
dort höre, ist, dass die Bundeswehr das grundsätzliche Problem nicht im
Blick hat, sondern versucht, es zu Einzelfällen herunterzureden. Etwa im
Fall Franco A. und Maximilian T. Das seien labile Personen gewesen.
Diese Verbindungen, die jetzt von der Presse aufgedeckt wurden, zwischen
den Gruppierungen um Franco A., Nordkreuz und KSK – das hat man bei der
Bundeswehr gar nicht gesehen, oder man hat es verschwiegen.
Das war also bereits Thema im Verteidigungsausschuss?
Franco A. war dort Thema. Das Thema Traditionerlass, also die Frage der
Benennung von Kasernen nach Wehrmachtsangehörigen, und wie viele
Devotionalien etwa in Form einer Hitler-Büste man dort gefunden hat,
das war dort natürlich Thema. Aber diese Fälle werden immer zu
individuellen Verfehlungen erklärt. Das seien Militariafreaks und
Spinner. Dass da vielleicht ein strategisches Moment dahintersteht, dass
sich dort eine rechtsterroristische Struktur innerhalb der Bundeswehr
etabliert, wurde ausgeblendet.
Sie sprachen über Rassismus in der Bundeswehr. Wie ernst ist das Problem?
Zum einen ist die Bundeswehr ein Spiegel der Gesamtgesellschaft – oder
genauer ein Zerrspiegel, weil es dort nämlich ein Verstärkungsmoment
bestimmer autoritärer Tendenzen gibt. In diesen abgeschotteten Kreisen
von Bundeswehr und Polizei, insbesondere innerhalb der noch
abgeschotteteren Spezialeinheiten, verfangen die Debatten über eine
angebliche Überfremdung, verfängt diese rechte Verschwörungstheorie von
der »Umvolkung« unter dem Eindruck der Flüchtlingsaufnahme 2015 ganz
besonders. Sowohl Polizei als auch Armee funktionieren über
Feindbestimmung, über den äußeren oder inneren Feind, über
Bedrohungsszenarien. Unterhalb der Schwelle des offenen Rassismus gibt
es daher auch eine kulturelle Nähe, etwa wenn Traditionen der Wehrmacht
gepflegt werden. Das betrifft den Sprachgebrauch und das, was alles von
Vorgesetzten nicht sanktioniert wird. Es gab den Fall eines
Polizeianwärters aus Sachsen. Er berichtete, bei Schießübungen sei
gesagt worden, man müsse angesichts der vielen Flüchtlinge ganz
besonders vorbereitet sein, auf der Straße die Waffe zu ziehen. Der
Polizeischüler hat dann angewidert den Dienst quittiert. Solche Sachen
sind in der Polizeiausbildung offenbar ganz selbstverständlich.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen einen MAD-Offizier wegen Geheimnisverrats. Welche Rolle spielt der MAD in dieser Affäre?
Eine, die uns noch beschäftigen wird. Es geht ja nicht nur darum, dass
der MAD diese Bestrebungen offenbar überhaupt nicht adäquat gesehen hat.
Zuletzt war der Präsident des MAD, Christof Gramm, im Bundestag bei
einer Anhörung der Geheimdienstchefs. Er behauptete, die Bundeswehr habe
kein Problem mit gewaltbereiten Neonazis. Es gebe keine Netzwerke. Da
fragt man sich doch, ob er die laufenden Ermittlungen der
Bundesanwaltschaft überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Inzwischen
wissen wir sogar, dass der Verbindungsbeamte des MAD zum
Bundeskriminalamt (BKA), der also den Strafverfolgungsbehörden
zuarbeiten sollte, derjenige war, der den Kopf dieser Geheimtruppe beim
KSK, André S., auch bekannt unter seinem Decknamen »Hannibal«, vor
anstehenden Polizeimaßnahmen gewarnt hat. Er hat also genau das
Gegenteil von dem gemacht, was er eigentlich sollte.
Ist das nicht das Muster, das man von den Geheimdiensten beim NSU-Komplex kennt?
Es läuft exakt genauso: Geheimdienstler, die in direktem Kontakt zu
ihren Informanten stehen, sehen ihre Aufgabe eher darin, die Nazis zu
warnen und zu schützen, als sie der Strafverfolgung zuzuführen. Dieser
Mann ist, das muss man dazusagen, ein hoher Offizier des MAD, kein
kleines Licht. Da stellt sich die Frage, ob nicht für den MAD dasselbe
gilt wie für den Verfassungsschutz. Im NSU-Komplex war der eher Teil des
Problems als Teil der Lösung. Diese Geheimdienste sind offensichtlich
völlig untauglich, um diese Gefährdungsmomente und die tatsächlichen
rechten Bestrebungen zu bekämpfen. Ich glaube, es wird eine politische
Diskussion auch über die Zukunft des MAD geben.
Nach dem Aufliegen des NSU wurde kurzzeitig die Auflösung des
Verfassungsschutzes diskutiert, Ihre Partei fordert das noch immer.
Muss es heute heißen, »Bundeswehr abschaffen«?
Unsere Kritik am Verfassungsschutz ist, dass er unkontrolliert in
Grundrechte eingreift. Dass er im Bereich des Neonazismus durch den
Einsatz von Spitzeln an vielen Stellen als Brandbeschleuniger gewirkt
hat. Das kann man nicht eins zu eins auf die Bundeswehr übertragen. Wenn
wir die Konsequenzen aus den jetzt vorliegenden Erkenntnissen zu
Nordkreuz, Franco A. und Uniter ziehen, dann müssen wir in erster Linie
über den MAD reden. Das wäre der Fokus für die parlamentarische
Auseinandersetzung.
Bei der Bundeswehr ist alles richtig, was eine weitere Aufrüstung und
Zurichtung dieser Armee zu einer Auslandsarmee verhindert. Vor allem
darf die Armee nicht so werden, wie es derzeit die öffentliche
KSK-Werbung suggeriert. Diese Werbung besagt nämlich im Subtext: Bei uns
darf man alles, lasst euch nur nicht dabei erwischen. Abenteuer,
Dschungel und so weiter. Genau so etwas muss man zurückdrängen. Da
führen wir momentan einen Abwehrkampf. Aber wenn wir uns den
Bundeshaushalt anschauen, wie er jetzt beraten wurde, geht es darum,
überhaupt einmal wieder in Richtung Ab- und nicht Aufrüstung zu kommen.
Von der grundsätzlichen Frage, ob Armee oder nicht, sind wir derzeit
sehr weit entfernt.
Aber ganz konkret existiert ein Problem ausgerechnet mit
diesen Eliteeinheiten und nicht mit irgendwelchen Rekruten. Wie sähen
denn nun die Konsequenzen aus?
Es kann nicht sein, dass es einen Bereich der Bundeswehr gibt, der sich
komplett der parlamentarischen Kontrolle entzieht, nämlich diese
Geheimarmee, das KSK, von dem das Parlament noch nicht einmal weiß, wie
viele Angehörige es genau hat, geschweige denn, was die machen.
In einer Demokratie darf es für das Parlament keine Blackbox geben,
weder bei den Geheimdiensten noch bei der Armee, sondern sie alle
müssen für die parlamentarische Kontrolle zugänglich sein. Sie müssen
evaluiert werden, und wenn es dort Missstände gibt und wenn die
systematisch sind, dann müssen diese Einheiten in Gänze auf den
Prüfstand.
Ich würde mir außerdem wünschen, dass das Thema Rechtsterrorismus in
einem größeren Rahmen parlamentarisch behandelt wird als nur im Kontext
der NSU-Untersuchungsausschüsse. Ich frage mich mittlerweile, ob wir
nicht einen Untersuchungsausschuss brauchen, der die Rolle der
Sicherheitsbehörden in rechtsterroristischen Strukturen aufgreift, von
der Wehrsportgruppe Hoffmann bis Nordkreuz und Franco A.
Wie sehen Sie die Chancen für einen solchen Ausschuss?
Es gibt viele Abgeordnete bei der SPD und den Grünen, aber auch einzelne
bei der FDP, die bei diesem Thema durchaus engagiert sind.
Auf der anderen Seite haben wir es aber auch mit einer sehr großen
Anzahl von Abgeordneten zu tun, die sich dieser sehr grundsätzlichen
Diskussion verweigern wollen, weil sie wissen, dass am Ende
möglicherweise eine ganz grundsätzliche Kritik an den Strukturen der
Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr stehen könnte. Sie sehen sich als
Schutzschild dieser Institution, zum Beispiel weil sie selbst dort
Karriere gemacht haben. Es handelt sich dabei oft um Reservisten, die
eine enge Verbindung zur Bundeswehr haben. Eine solcher erweiterter
Korpsgeist ist auch von einem kulturellen Habitus geprägt, den in der
Regel männliche Abgeordnete mitbringen. Deswegen denke ich, dass es viel
Widerstand geben wird, wenn wir sagen, wir wollen das aufklären. Im
Moment gibt es jedenfalls keine Mehrheit, die sagt, dass sie das zum
Thema machen will.
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