Bis vor kurzem wurden nur Straftäter, sogenannte
Gefährder oder Identitätsverweigerer abgeschoben - nun wieder alle
abgelehnten Asylbewerber. Zumindest in einigen Bundesländern, und Sachsen
ist vorn dabei. Obwohl das Auswärtige Amt die Lage in Afghanistan anders
bewertet. Wer waren die drei Abgeschobenen aus Sachsen?
"Ich habe richtige Angst hier in Afghanistan - jeden Tag Bomben, jeden Tag Krieg", sagt Sardar Vali Sadozai. Bis Anfang Juli lebte der 33-Jährige noch in Wurzen bei Leipzig. Dann wurde er plötzlich abgeschoben – obwohl er seit zwei Jahren sein eigenes Geld verdiente, obwohl er gut integriert war.
Für die Lebensgefährtin war es ein Schock. "Wir haben früh morgens
telefoniert. Er hatte neu bei Aldi angefangen und er will mir erzählen
wie schön der Tag war und sagt: ´Moment. Es klingelt unten´", erzählt
Ute Haage. Seit 1,5 Jahren sind die beiden zusammen. Das Handy habe
Sadar Sadozai angelassen. Sie hörte nur noch: "Sie werden heute
abgeschoben."
Nun ist er in Kabul. Mit seiner Freundin kann er
nur noch per Telefon sprechen. "Mir geht es nicht gut", sagt Sadar
Sadozai. Beide haben vom Anschlag in der afghanischen Hauptstadt am
Vortag gehört. Mindestens 11 Menschen kamen ums Leben.
Selbst die Abschiebung von Straftätern war umstritten
Sadar Sadozai war vor den Taliban nach Deutschland geflüchtet, doch sein
Asylantrag wurde abgelehnt. Dass er in Kabul verfolgt würde, sei nicht
glaubwürdig. Bis vor kurzem durften afghanische Flüchtlinge wie er in
Deutschland bleiben, weil die Lage in ihrer Heimat als zu gefährlich
galt. Nur Straftäter, sogenannte Gefährder und Identitätsverweigerer
wurden abgeschoben – und selbst das war umstritten.
Auch im neuen Lagebericht des Auswärtigen Amtes wird die Sicherheitslage vor Ort als schwierig eingestuft:
"Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht insbesondere von
Kampfhandlungen […] Selbstmordanschlägen und […] Angriffen auf
staatliche Einrichtungen aus."
Sicherheitslage weiterhin als schwierig eingestuft
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hingegen erklärte nach der
Innenministerkonferenz, dass jedes Bundesland selbst entscheiden könne,
wie es die Afghanistan-Frage handhabe. "Wir als Bundesregierung halten
eine generelle Abschiebung nach Afghanistan wieder für möglich."
Sachsen
hat sich dafür entschieden. Eine Entscheidung, die selbst den
Flüchtlingsrat überrascht hat. Er hat davon erst von MDR-exakt erfahren.
"Es ist paradox, dass das Auswärtige Amt diesen Bericht vorlegt und
dann das Bundeskanzleramt, das Bundesinnenministerium, bis runter zu den
lokalen Ausländerbehörden diesen Lagebericht nicht ernst nehmen", sagt
Sprecher Mark Gärtner.
Am 3. Juli saßen in der Maschine Richtung Kabul insgesamt 69 afghanische
Flüchtlinge: Drei kamen aus Sachsen: Einer war ein Straftäter, einer
ist psychisch krank, einer war gut integriert. Insgesamt waren 50
Menschen im Flieger keine Straftäter.
Es werden wieder alle Personengruppen abgeschoben
Trotz der aktuellen Situation und des neuen Lageberichts dürfen nun wieder alle Personengruppen nach Afghanistan abgeschoben
werden – und drei Bundesländer tun dies auch: Bayern,
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Insgesamt gab es im ersten Halbjahr
2018 schon fast 1.700 Tote – die höchste Zahl seit Beginn der Zählung
in 2009.
Warum die Regierung dennoch zu dieser Entscheidung gekommen ist, kann
Afghanistan-Experte Thomas Ruttig nicht verstehen: "Aber selbst in
diesem Bericht, der ja der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wird,
wird nicht gesagt wo sich diese Gebiete befinden und Minister,
zuständige Minister, haben auch immer wieder abgelehnt, in den Medien
dazu Stellung zu nehme. Das also genau zu benennen. Was ein Zeichen
dafür ist, dass die Bundesregierung sich ihrer eigenen Argumente nicht
sicher ist. Und die Lage vor Ort spricht auch eindeutig dafür." Warum
das sächsische Innenministerium sich trotz des Lageberichts für Abschiebungen entscheidet, will es MDR-exakt nicht sagen.
Erstaustrahlung 25.07.2018, MDR, exakt
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