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Der böse Zwerg Dunga und seine Seleção

Sie sind vielleicht die beste Mannschaft der Welt, den schönsten Fußball spielt die

brasilianische Nationalmannschaft aber nicht mehr - mit Absicht. Erfolg hin oder her: Ein ganzes Land ist enttäuscht.


von Britta Kollenbroich, ftd.de


Es war einmal eine Nationalelf, die war so berühmt, dass alle Kinder auf der Welt ihre Namen kannten. Und die Brasilianer hatten diese Spieler so lieb, wie eben nur Brasilianer ihre Mannschaft verehren können. Doch dann kam Dunga. Der Trainer verbannte Ronaldinho, Adriano und Roberto Carlos aus dem Team - und mit ihnen auch die Schönheit des Spiels.

Brasiliens Kader für Südafrika Die No-Name-Seleção

Die Rollen in Brasiliens Wintermärchen sind klar verteilt. Dunga, der Zwerg mit den langen Ohren, wie der Trainer seit Kindestagen in Anlehnung an "Schneewittchen und die sieben Zwerge" genannt wird, ist der Bösewicht. Zumindest, wenn es nach den heimischen Medien und Fans geht. "Sturkopf" und "Esel" beschimpfen sie ihn. Die Guten sind die nicht in den WM-Kader berufenen Superstars. Effektiver, kampfbetonter Fußball gegen Eleganz und Ballzauber, Gegenwart contra Vergangenheit.

Sturkopf, Esel, Zwerg: Der brasilianische Trainer Dunga hat viele Spitznamen

Es ist das "Jogo Bonito", das schöne Spiel, dass die brasilianische Nationalmannschaft in den vergangenen Jahrzehnten weltberühmt machte. Keine andere Auswahl zauberte auf dem Spielfeld so ansehnlich, zelebrierte Fußball so außergewöhnlich. Dass der sehenswerte Offensivfußball nicht immer erfolgreich war, nahmen die brasilianischen Fans gerne hin. Sie waren stolz auf ihre Spieler. Umso enttäuschter sind sie jetzt.

Kritik ist für den 46-jährigen Dunga nichts neues. Schon als Spieler setzte er auf Effektivität und Taktik, Zweikampfstärke und harte Tacklings. Schon als Spieler wurde er dafür kritisiert.

Als Trainer führt er dieses Spielsystem unbeirrt fort. Nur vier Stürmer berief er in seinen WM-Kader. Für die Zuschauerlieblinge Ronaldinho und Adriano war kein Platz. Stattdessen setzte er auf Zerstörer im Mittelfeld, formierte ein Abwehrbollwerk. Eine ganze Nation schrie in Qualen auf.

Dunga war es egal: Statt seine Landsleute zu beruhigen, sorgte er für den nächsten Skandal in den Augen der Fans. Für die WM-Vorbereitung zog es ihn nicht nach Rio de Janeiro oder São Paulo, in die Nähe des Volkes. Dunga wählte die Industriestadt Curitiba im Süden des Landes - und schloss die Öffentlichkeit vom Training aus.

Dunga greift die Brasilianer an ihrer empfindlichsten Stelle an: Die Spieler der Seleção sind für das Publikum stets Menschen "wie du und ich" gewesen. Viele Stars kommen aus Armenvierteln, haben es von der Straße in die beste Auswahl der Welt geschafft. Spieler wie Adriano verkörpern den brasilianischen Traum und geben den Menschen Hoffnung.

Brasilianer lieben Herzschmerz mit Happy End. Dunga aber schmeißt die Stars aus dem Team, schirmt die Mannschaft vom Volk ab - ohne mit der Wimper zu zucken. Schlimmer noch: Er duldet keine Störfeuer. Kein Streit, keine Skandale, keine Beschwerden und vor allem keine Emotionen dringen aus dem Fünf-Sterne-Hotel der Seleção in die Öffentlichkeit.

Vielleicht ignoriert der Trainer die Kritik derart gelassen, weil er sich der Unterstützung seiner Landsleute bei der Weltmeisterschaft trotz aller Anfeindungen sicher sein kann. Trotz aller Kritik, sie werden wieder da sein, vor dem Fernseher, am Radio oder beim Public Viewing ihre Nationalmannschaft anfeuern. Wie schon vor dem Auftaktspiel gegen Nordkorea, als Banken Tage vorher schon angekündigt hatten, zwei Stunden früher als üblich zu schließen. Während des Spiels würde eh kein Brasilianer auf die Idee kommen, Geld abzuheben. Genauso undenkbar: Einkaufen oder ein Amtsbesuch während eines Spiels ihrer Seleção. Selbst Staatspräsident Lula, ebenfalls auf Kriegsfuß mit Trainer Dunga, hatte um 15.30 Uhr nur einen Eintrag im Terminkalender: "Brasilien gegen Nordkorea im Fernsehen schauen".

Die Partie hat vor allem eins gezeigt: Das "Jogo bonito" ist endgültig ad acta gelegt. Während Lula sich - wohl aufgrund des

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Ergebnisses - damit arrangiert hat, sind die Fans enttäuscht. Ein Sieg, das Spiel effektiv, ja - aber eben nicht schön anzusehen. "Das war nicht der Fußball, den die brasilianischen Fans erwarteten. Es war nicht das Schützenfest, das die Fans mögen. Aber es war die Art, die Trainer Dunga mag", kommentierte die Sportzeitung "Lance!". Die Tageszeitung "Folha de São Paulo" beschrieb das Spiel gar als "bürokratischen Flirt mit dem Desaster". "Brasilien hat schlecht gespielt", urteilte der Kolumnist und Weltmeister von 1970, Tostão.

Das brasilianische Wintermärchen, das im Moment für viele mehr einem Alptraum gleicht, wird am Sonntagabend gegen die Nationalmannschaft der Elfenbeinküste weitergeschrieben. Dass Dunga seine umstrittene Spielphilosophie noch ändert, daran glaubt keiner mehr. Aber es gibt ja noch Kaká. Der kreativste aller Nationalspieler steckte zuletzt in einer Krise, gibt sich aber optimistisch: "Ich werde mich steigern", verspricht er den Fans. Und so lasten die Hoffnungen von 192 Millionen Brasilianern auf seinen Schultern.

Kaká findet zu alter Stärke zurück, zaubert die Seleção ins Finale und erzielt gegen Argentinien den Siegtreffer.


erschienen am 20.06.2010 auf ftd.de