Hündin „Mausi" ist Heiko Schurchardts Lebensversicherung. „Ich will sie nicht mehr missen - sie hilft mir beim Überleben", sagt der 49-Jährige und streichelt den Kopf seiner schwarz-weißen Begleiterin. Die beiden sitzen auf einem schmalen Bett in einem kleinen, langen Zimmer. Seit sechs Monaten ist der kleine Raum in der Hamburger Obdachlosen-Unterkunft „Pik As" ihr Zuhause. Heute wird Deutschlands ältestes Asyl für Wohnungslose 100 Jahre alt.
Wer im „Pik As" in der Hamburger Neustadt Unterschlupf sucht, ist obdachlos und gehört zu den Ärmsten der Armen. Daran hat sich in den vergangenen 100 Jahren kaum etwas geändert. 210 Betten stehen in 65 Räumen - und fast immer ist die Herberge zu 100 Prozent ausgelastet, erklärt Leiter Patrik Rieken.
Alleinstehende Männer, Paare oder Hundebesitzer finden im „Pik As" ein Dach über dem Kopf. Das Nötigste können die Obdachlosen in der Herberge selbst erledigen: Es gibt einen kostenlosen Waschsalon, Kleiderkammer, Getränke und Lebensmittel. Im Keller steht außerdem das Pikobadeland zur Verfügung: mit Badewannen und einem Ruheraum.
Eigentlich soll das „Pik As" nur eine Zwischenstation sein, eine Herberge in der Not. Offiziell beträgt die Verweildauer drei Monate, erklärt Patrik Rieken. Doch viele bleiben länger. Von den 210 Betten sind mehr als die Hälfte von festen Bewohnern belegt. Die Mitarbeiter würden sie gerne in Wohnungen vermitteln, doch „es gibt nix in der Stadt", erklärt Sozialarbeiter Tobias Barta. Und so bleiben manche Monate oder Jahre. Für einen 83-Jährigen ist das „Pik As" sogar seit vierzig Jahren sein Zuhause.
Im Winter besonders voll
In wenigen Tagen, am 1. November startet das Winternotprogramm. Dann steigt die Zahl der Betten von 210 auf rund 280. Abgewiesen wird aber niemand. „Da geht es um Erfrierungsschutz, es gibt keine Höchstgrenze bei der Belegung", sagt Barta. Im vergangenen Winter schliefen so bis zu 400 Menschen pro Nacht im „Pik As". 1960 waren es sogar mal 1100 Obdachlose. Sind alle Betten belegt, bekommen die Männer Wolldecken. „Man weiß nie, wie viele kommen werden."
Gerade im Winter häuft sich aber auch die Kritik an der Unterkunft. Die Vorwürfe kennt der Sozialarbeiter und will sie auch nicht abtun. „Es gibt Diebstähle, Gewalt und Drogenkonsum", sagt er. Doch in Anbetracht der Vielzahl der Menschen, die hier unfreiwillig zusammenlebten, sei die Zahl der Konflikte doch gering. „Hier spiegelt sich eben das ganz normale Leben wider", erklärt Barta.
Das trifft auch auf die Lebensgeschichten und Biografien der Bewohner zu. Manche kommen aus dem Gefängnis und andere aus dem Eigenheim, manche haben studiert und andere hatten nie eine Chance im Leben. Gefeit ist niemand vor der Obdachlosigkeit. „Es kann jeden treffen", sagt Barta.
Für Heiko Schurchhardt sind die Tage im „Pik As" gezählt. Er wird bald umziehen. Mithilfe der Mitarbeiter hat er einen Platz in einer Wohnanlage bekommen, in der auch Hunde willkommen sind. Die Schlüssel für seine neue Bleibe hat er schon, fehlen nur noch die Möbel. Ende November wird er 50 - dann will er mit „Mausi" im neuen Zuhause wohnen: „Da werde ich meinen Geburtstag feiern - aber Hallo."