Mehr als 70 Menschen starben beim Selbstmordanschlag am Ostersonntag in Lahore. Erzbischof Sebastian Francis Shaw kümmert sich um die Angehörigen - hier redet er über das Leben mit der Angst.
Er ist für die Angehörigen da, hält Messen für die Opfer, besucht die Verletzten und redet auf den unzähligen Beerdigungen. Allein am Montag waren es 20 Beisetzungen in Lahore. Seit dem Selbstmordanschlag vom Ostersonntag ist der Erzbischof von Lahore rund um die Uhr unterwegs. Deshalb ist es nicht einfach, Sebastian Francis Shaw in diesen Tagen zu erreichen.
Am Telefon erzählt er SPIEGEL ONLINE von den Begegnungen mit den Angehörigen und Überlebenden. Sie gehen ihm sehr nah: "Ein Mann hat den Selbstmordattentäter kurz vor dem Anschlag gesehen. Er hat gesehen, wie er direkt auf die Frauen, Kinder und Familien zuging und sich dann in die Luft sprengte."
Es sei schwer, den Überlebenden Trost zu spenden. Gerade bereite er sich auf die Beerdigung von zwei Schwestern vor, erzählt er. "Die eine war 17, die andere 19 Jahre alt, es ist so tragisch."
SPIEGEL ONLINE: Herr Shaw, wie war die Stimmung in ihrer Gemeinde vor dem Ostersonntag?
Shaw: Vorsichtig und wachsam sind wir immer. Die Sicherheitskräfte haben uns auch vor Ostern gewarnt, dass wir aufpassen müssen. Aber insgesamt waren die Tage vor dem Selbstmordanschlag sehr friedlich. Auch die Osterfeierlichkeiten sind ohne Zwischenfälle abgelaufen. Als die Menschen am Sonntag gegen 15 Uhr gingen, waren wir sehr glücklich und dankbar, dass alles so gut gelaufen ist.
SPIEGEL ONLINE: Was passierte dann?
Shaw: Es ist üblich, dass die Menschen nach den Gottesdiensten noch mit ihren Familien weiterfeiern und etwas unternehmen. Es war ein warmer Tag, und die meisten hatten frei. Und so gingen viele noch in Parks. Der Park, in dem der Anschlag dann passierte, ist bei der Mittelschicht sehr beliebt, der Eintritt ist kostenlos, und es gibt Spielgeräte für Kinder. Es ist ein Ort der Freude. Auch viele Muslime kommen gerne hierher. Ich glaube, der Attentäter hat sich diesen Park ganz bewusst ausgesucht. Er wusste, dass er nicht besonders bewacht würde.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie die Zeit seitdem erlebt?
Shaw: Gestern gab es allein in Lahore zwanzig Beerdigungen, heute waren weitere, morgen Früh predige ich auf der Beisetzung zweier Schwestern. Ich spreche viel mit Angehörigen und Verletzten, besuche sie in den Krankenhäusern. Ich besuche alle Menschen, egal, ob sie Christen oder Muslime sind. Aber was soll ich ihnen sagen? Es ist so unglaublich schwer. Manche haben ihre Kinder, Ehemänner und weitere Verwandte verloren. Uns fehlen die Worte, um sie zu trösten. Ich höre ihnen zu und sage ihnen, dass Menschen in aller Welt an sie denken und für sie beten. Dafür sind wir sehr dankbar.
SPIEGEL ONLINE: Welche Reaktionen haben Sie in den vergangen Tagen bekommen?
Shaw: Menschen aus der ganzen Welt rufen bei uns an und wollen uns helfen. Auch in Pakistan ist die Anteilnahme groß: Politiker und Vertreter anderer Religionen haben uns ihr Beileid ausgesprochen.
SPIEGEL ONLINE: Christen sind eine Minderheit in Pakistan. Wie würden Sie Ihre Situation beschreiben?
Shaw: Wir sind eine Minderheit, aber wir sind auch ein Teil Pakistans. Natürlich hatten wir angesichts der Drohungen und Anschläge auf Christen schon vorher Angst, und es herrschte eine Unsicherheit. Aber normalerweise können wir unseren Glauben praktizieren. Pakistanische Sicherheitskräfte schützen uns, und wir haben auch gelernt, auf uns aufzupassen. Durch die Anschläge wird die Angst nun aber größer.
SPIEGEL ONLINE: Unterscheidet sich Lahore von anderen pakistanischen Städten?
Shaw: Lahore ist die größte und älteste christliche Gemeinde in Pakistan, und in mancherlei Hinsicht ist das Leben hier anders. In manchen Teilen der Stadt leben nur Christen, es gibt große christliche Einrichtungen. Auch hier werden Christen diskriminiert. Aber normalerweise leben wir friedlich zusammen: Christen und Muslime arbeiten zusammen, leben friedlich nebeneinanderher.
SPIEGEL ONLINE: Hat sich die Situation der Christen in Pakistan in den vergangenen Jahren verändert?
Shaw: Nach dem 11. September 2001 war die Lage sehr angespannt und es gab viele Schwierigkeiten. Aber in den vergangenen vier, fünf Jahren ist es etwas besser geworden. Das liegt vor allem am Dialog.
SPIEGEL ONLINE: Wie machen Sie den Menschen in Lahore Mut?
Shaw: In Lahore leben unglaublich viele junge Menschen. Ich bin überzeugt: Wir müssen ihnen beibringen, zusammenzuarbeiten. Und wir müssen ihnen beibringen, sich nicht zu hassen, sondern sich als Menschen gegenseitig zu respektieren und zu lieben. Wir sind alle Pakistaner und können das nur gemeinsam schaffen.
Via SPIEGEL ONLINE
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