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Immobilienmarkt 2045: Wo die Deutschen wohnen wollen - und wo nicht

Rein in die Metropolen, raus aus der ostdeutschen Provinz: Dieser Trend dürfte sich laut einer Studie in den kommenden 30 Jahren weiter zuspitzen - mit drastischen Folgen für Städte und Regionen.


Auf den ersten Blick spricht wenig für Görlitz als Alterswohnsitz. Die Stadt liegt weiter als jede andere im Osten der Republik, bis zur Küste sind es einige Hundert Kilometer, nach Dresden immerhin noch rund Hundert. Die Arbeitslosenquote ist überdurchschnittlich hoch, das Armutsrisiko ebenso, und die wirtschaftliche Situation könnte besser sein. Doch Görlitz hat den Ruf eines Rentnerparadieses. Senioren aus ganz Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren aufgemacht, um in der sächsischen Oberlausitz ihren Lebensabend zu verbringen.

Der Stadt ist gelungen, was sich viele andere wünschen: Sie hat sich im Standortwettbewerb attraktiver für eine bestimmte Zielgruppe gemacht. Und ist damit eine Ausnahme. Bundesweit ziehen nur wenige in die strukturschwachen Regionen wie Ostdeutschland, Nordhessen und das Saarland - viele Wohnungen stehen leer, während in den beliebten Metropolen Wohnungsnot herrscht.

Für die Allianz Leben, die selbst in der Baufinanzierung aktiv ist, hat das Wirtschaftsinstitut Prognos nun untersucht, wie sich Bevölkerung und Wohnungsbedarf bis 2045 entwickeln. Ihr Fazit: Der Markt driftet noch stärker auseinander. In einigen Regionen wird sich die Lage für Wohnungssuchende deutlich anspannen - in anderen Gegenden droht der Leerstand.

Deutschland ein Einwanderungsland

Die Herausforderungen für Städte und Kommunen in den kommenden Jahrzehnten unterscheiden sich deutlich. In den wirtschaftsstarken Städten und Regionen rechnen die Wissenschaftler damit, dass die Zahl der Haushalte um 18 Prozent zunimmt. In der Region Sachsen-Bitterfeld-Wittenberg hingegen werden es fast ein Viertel weniger sein (siehe Grafik).

In ihren Berechnungen gehen die Autoren der Studie "Wohnen 2045" davon aus, dass Deutschland ein Einwanderungsland bleibt. In Zahlen bedeutet das: Bis 2030 ziehen nach Schätzung der Wissenschaftler jährlich 500.000 Menschen mehr nach Deutschland als abwandern. Danach gehe die Zuwanderung etwas zurück. Bis 2045 leben nach diesem Szenario insgesamt 85 Millionen Menschen in der Bundesrepublik.

Doch es ist nur zum Teil die Zuwanderung, die die Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt beeinflusst. Viel größere Auswirkungen hat das Umzugsverhalten derjenigen, die bereits in der Bundesrepublik leben. Denn wenn es um den Wunschort fürs Wohnen geht, ticken Deutsche derzeit sehr ähnlich: Nach der Schule sollte es eine Groß- und Universitätsstadt sein, zwischen 30 und 50 zieht es Frauen und Männer an den Stadtrand - und im Alter locken die Ruhe im Ländlichen und das Meer. Auch die Individualisierung der Gesellschaft schlägt sich aufs Wohnen nieder: Der Trend zum Single-Haushalt hält an, schreiben die Autoren.

Hunderttausende Wohnungen fehlen

Bis 2030 führt das dazu, dass der Druck auf die ohnehin schon angespannten Wohnungsmärkte besonders stark zunimmt. Dann sehen die Forscher den Höhepunkt der Nachfrage erreicht. Vor allem in Hamburg, dem Rhein-Main-Gebiet oder Stuttgart übersteigt die Nachfrage das Angebot bei Weitem: Bleibe die Bautätigkeit in den kommenden 14 Jahren gleich, fehlen dort den Berechnungen zufolge zwischen 94.000 und 155.000 Wohnungen. In München sollen es 158.000 sein, in Berlin sogar 173.000 (siehe Grafik). Insgesamt könnten es in den Top-10-Regionen bis zu 940.000 Wohnungen zu wenig sein, schreiben die Autoren. Entsprechend dürften auch die Preise in diesen Regionen weiter anziehen.

Ein ganz anderes Bild zeigt sich hingegen in den weniger beliebten Städten und Kommunen. In den Regionen Vorpommern, Südsachsen oder Halle/Saale droht schon im Jahr 2030 massiver Leerstand. Doch das ist keineswegs ein ausschließlich ostdeutsches Phänomen. Auch für das Saarland und die Westpfalz sieht es nicht gut aus.

Im Jahr 2045 wird die Spaltung des Wohnungsmarktes dann besonders deutlich. Experten sprechen bei 1030 Wohnungen auf 1000 Haushalte von einem ausgeglichenen Markt. In weiten Teilen Deutschlands (53 Prozent) wird das Wohnungsangebot dann aber deutlich höher liegen. "Strukturschwache Regionen müssen sogar damit rechnen, weitere Teile ihrer Bevölkerung zu verlieren", warnen die Autoren. Lediglich in jeder zehnten Region werde der Wohnungsmarkt ausgeglichen sein.

Bauen und attraktiver werden

Doch was können Kommunen tun, um größere Wohnungsnot und weiteren Leerstand zu verhindern? Bauen und attraktiver werden, empfehlen die Autoren. Aus ihrer Sicht reagiert der Markt zu langsam auf die Veränderungen bei der Nachfrage. Insbesondere die zehn Regionen, in denen die Nachfrage nach Wohnungen langfristig am höchsten ist, müssten ihre Bautätigkeit massiv steigern. Für die Allianz Leben als Baufinanzierer ist das eine gute Nachricht.

Auch der Blick über Stadtgrenzen hinweg ist aus Sicht der Autoren notwendig, um Lösungen für die Ungleichgewichte am Wohnungsmarkt zu finden. Bereits heute nimmt die Zahl der Fernpendler zu. Allianz-Projektleiter Peter Haueisen geht davon aus, dass die Städte in den Metropolregionen in den kommenden Jahrzehnten immer stärker miteinander verschmelzen. In Ulm leben und in Stuttgart oder München arbeiten werde keine Ausnahme sein. "Wichtig ist, dass dafür die Verkehrsmittel zur Verfügung stehen und die Verbindungen ausgebaut werden", so Haueisen.

Regionen, die unter Abwanderung und Leerstand leiden, dürfte das nur bedingt helfen. Sie müssen laut Studie die Attraktivität ihrer Standorte steigern - zum Beispiel durch ein besseres Angebot an Arbeitsplätzen und dem Erhalt beziehungsweise der Steigerung der Wohnqualität. "Gezielte Investitionen in verkehrs- und wirtschaftsnahe Infrastruktur, auch in die digitale Anbindung und Stadtentwicklung, sind gerade deshalb wichtig", sagt Tobias Koch, Projektleiter von Prognos.

Dass das möglich ist, zeigt das Beispiel Görlitz im Kleinen - noch deutlicher wird es aber an Leipzig, Erfurt oder Regensburg. diese Städte haben in den vergangenen Jahren in Infrastruktur, Forschung und Hochschulen investiert. Das zahlt sich aus: Bei den 18- bis 30-Jährigen sind die Städte sehr beliebt.


Zusammengefasst: Bis 2045 wird der Druck auf den Wohnungsmarkt in Deutschland zunehmen. Allerdings haben die verschiedenen Regionen laut einer Studie mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen zu kämpfen: Strukturschwachen Regionen droht weitere Abwanderung. In den beliebten Städten und Regionen wie München, Hamburg und dem Rhein-Main-Gebiet werden hingegen Hunderttausende Wohnungen fehlen.

via @SPIEGEL ONLINE


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