In Zeiten der Gesundheitsdiktatur sind Zigaretten so sexy wie Schwabbelbauch und Vokuhila, paarungswilligen Nikotinikern droht echter Notstand. "Wenn uns keiner liebt, lieben wir uns eben selbst", kontern die Raucher - mit gravierenden gesellschaftlichen Folgen.
So sexy war Rauchen 1964: Der junge Blacky Fuchsberger lümmelt sich in seiner Paraderolle als Inspektor Higgins auf einer großen Couch. Neben ihm, Kopf an Fuß und leicht bekleidet, Sophie Hardy alias Alice Penton ("Higgi, wann heiratest du mich endlich?") mit Kippe in der Hand. Weil er sie nicht beachtet, lieber in der Zeitung von den neuesten Schandtaten des "Hexers" liest, steckt sie sich die Zigarette zwischen die lackierten Zehen und brennt ihm ein Loch in die Postille. Higgi sieht es, nimmt einen kräftigen Zug aus der Lulle und dann die schöne Alice auf dem Kanapee. Ein prüder Bildschnitt bewahrt uns vor Details. Dafür im Bild: eine schicke Sekretärin am Telefon. Die raucht natürlich auch, (stellvertretend) die Kippe danach.
So war das damals in den 60ern, als "Der Hexer" in die Kinos kam, die damals noch voll besetzt und voll verraucht waren. Da war der blaue Dunst noch hocherotisch: Für die Frauen ein Zeichen von Selbstbestimmung und Verruchtheit, für die Herren eine prima Schwanzverlängerung (8,5 Zentimeter!). Jeder, der es sich leisten konnte, rauchte: In den Wohnkommunen barzten sich die jungen Hippies die freie Liebe schön, die Bürgerlichen frönten dem neuen Wohlstand in verrauchten Tanzlokalen. Sprüche wie "Madame, darf ich Ihnen Feuer geben?" führten noch ohne langes Drumherum auf die schmale Rückbank eines VW-Käfers.
Und heutzutage, in Zeiten von Life-Balance-Diktatur und staatlich verordnetem Gesundheitsschutz? Wo wahnsinnige Wiesbadener verdiente Altkanzler wegen ein paar Rauchwölkchen vor den Kadi ziehen wollen und eine ballaststoffgestählte Gesundheitsmafia den Ton angibt. Da schmecken Raucher nur noch wie Aschenbecher, sind charakterschwach, süchtig, allesamt Verlierer - und gehören daher vor die Tür. Keine Spur mehr von Erotik. Die Zigarette, der alte Schlüpferstürmer, ist so sexy wie Schwabbelbauch und Vokuhila.
Das Ende alter PaarungsritualeNun droht sogar handfester Liebesentzug: Die Online-Single-Börse "Bildkontakte" fand in einer (garantiert nicht) repräsentativen Umfrage heraus: Jeder dritte Single sagt von vornherein "Nein, danke", wenn ein Raucher anklopft - völlig egal, welche Qualitäten da noch schlummern. Ein weiteres Viertel setzt noch einen drauf: Beziehung ja, aber nur zum Abgewöhnen. Ist der Bund erst mal geschlossen, wird alles drangesetzt, den Belzebub schnellstmöglichst auszutreiben. Der zuwendungsbedürftige Nikotiniker hat die Qual der Wahl: Rauchen oder Sex, das ist hier die Frage.
Für die Raucher wird es einsam in der Single-Welt. Denn seit in den Kneipen Rauchverbot herrscht, ist auch das Flirtverhalten aus dem Takt gekommen: Man hat nichts mehr zum Festhalten, wenn man allein in der Disco ein wenig posen will. Lässig Feuer geben mit dem Zippo, die Kippe coolstmöglich auf der Lippe tanzen lassen, kunstvoll Ringe blasen und damit Eindruck schinden - jahrelang eingelebte Paarungsrituale sind seit Jahresbeginn nur noch Schall und Rauch.
Trendsport Smirting
Wer regelmäßig raucht, balzt seither unter Extrembedingungen. Was zum Beispiel tut er beim ersten Rotwein-Date? Etwa halbstündig aus der Pizzeria stürmen und die Angebetete allein am Tisch zurücklassen? Wie uncharmant. Was ist mit ihr, die, um im Club in Paarungslaune zu geraten, nicht nur eine Kanne Wodka-Lemon, sondern auch ein Päckchen Kippen braucht? Soll sie beim Turteln rausgehen und riskieren, dass ihr die kleine Schlampe gegenüber den sicheren Fang noch vom Haken holt? Nein, das geht natürlich nicht. Sie muss standhaft bleiben, flirten auf Entzug: Fahrig, hippelig, kreidebleich, noch nie war die Kippe danach so hart wie erkämpft wie heute.
"Alles Quatsch, wir sind doch eh viel kommunikativer", sagen dagegen die 20 Millionen geschlechtsreifen Raucher hierzulande und verweisen auf das "Smirting". Jenen neuen Trendsport aus "Smoking" und "Flirting", der künftig einsame Raucherherzen vor den Türen der Lokale zusammenschmieden soll. Das ist im deutschen Januar noch nicht so richtig schön - doch wenn erst mal der Frühling kommt, mit Hormonschüben und warmen Tagen, dann werden vor den Kneipen die Pheromone nur so fliegen. Raucherorgien, wohin man blickt, ein einziges großes Speed-Date mit Zigarette steht bevor. Alles wird wieder so sein wie in den Sechzigern: freie Liebe unter Rauchern.
Der Raucherstaat im StaateWohin das alles führt, liegt auf der Hand: Man bleibt künftig unter sich. Raucher lernen nur noch Raucher kennen, haben Rauchfreunde und treffen sich in Raucherräumen. Und da Raucherpärchen bekanntermaßen bevorzugt Raucherkinder zeugen, ist eine Abspaltung unvermeidlich und für die Zukunft zementiert: Die Bruchlinie der modernen Gesellschaft verläuft nicht zwischen Arm und Reich, sondern zwischen Nichtrauchern und Rauchern.
Vermutlich wird es in ein paar Jahren nicht nur Raucherkneipen geben, sondern auch eigene Krankenkassen, Verkehrsmittel und Schulen. "Spiel nicht mit den Nichtraucherkindern", geben besorgte Eltern aus Raucherstadtteilen ihren Sprösslingen mit auf den Weg. Dass eine Raucherpartei in den Bundestag einzieht, ist es nur eine Frage der Zeit - genauso wie der Raucherstaat im Staate, finanziert von der Tabakindustrie. Apartheid mal ganz anders.
Lässt sich all das noch abwenden? Vielleicht ja. Nach der "Bildkontakte"-Umfrage würden immerhin 80 Prozent der Raucher ihrem Laster abschwören, wenn es um die Liebe geht. Das macht doch Hoffnung. Und mit einem anderen Mythos muss man sowieso mal aufräumen. Der Kondomhersteller "Durex" hat vor einiger Zeit herausgefunden: Nur jedes vierzehnte Pärchen gönnt sich nach vollbrachter Liebesleistung die Zigarette danach. Die große Mehrheit tut dagegen etwas, was den zeternden Fraktionen aus Rauchern und Nichtrauchern auch mal wieder ganz gut tun würde: einfach nur kuscheln.
Original