"Und was machst du später damit?" Diese Frage hat Matthias Remberg so oft gehört. Mit seinen Studienfächern Politologie, Geschichte Südasiens und Regionalwissenschaften Südostasiens war für viele der Weg des heute 47-Jährigen zum promovierten Taxifahrer programmiert. "Keiner hat geglaubt, dass man damit was Anständiges werden kann", sagt er und lacht.
Nach dem Studium bewarb er sich auch auf Stellenanzeigen, in denen seine Fachrichtung zwar nicht gewünscht, aber auch nicht explizit ausgeschlossen war. Nach 20 Bewerbungen flatterte die Einladung zum Interview bei einer Unternehmensberatung ins Haus - kurz darauf hatte er den Job als Konferenzmanager. So leicht wie Remberg gelingt nur wenigen Geisteswissenschaftlern der Einstieg ins Berufsleben. "Wir können zwei Gruppen unterscheiden", sagt Kolja Briedis vom Hochschul-Informations-System (HIS). "Die erste Gruppe, etwa die Hälfte aller Absolventen, findet schnell einen Job, die zweite erreicht den Stand der ersten häufig erst nach fünf bis zehn Jahren." Den Grund für diesen massiven Unterschied sieht er vor allem in der Berufserfahrung, über die einige Studenten bereits bei Abschluss ihres Studiums verfügen - und andere eben nicht.
"Das geisteswissenschaftliche Studium ist auch eine Herausforderung, weil es viel mehr eigener Orientierungsarbeit hinsichtlich des persönlichen Berufsweges bedarf", sagt Briedis. Sprich: Wer neben dem Studium arbeitet, als Werkstudent oder Minijobber, und darüber hinaus noch Praktika absolviert, erhöht seine Chancen auf einen übergangslosen Berufseinstieg erheblich.
Matthias Remberg fehlte für Praktika während des Studiums Zeit und Geld. "Dafür habe ich aber immer gearbeitet und mir damit meinen Lebensunterhalt finanziert. Damit hatte ich mehr Praxiserfahrung als viele gleichaltrige Bewerber und konnte den Personaler von meiner Zielstrebigkeit überzeugen", sagt er.
Dass sich Remberg auf viele Stellenanzeigen unabhängig von der gewünschten Fachrichtung bewarb, darin sieht Thomas Markus, Director Human Resources bei Varta Consumer Batteries, ein Erfolgsrezept. "Auch wir schreiben unsere Stellen bewusst offen aus, indem wir die gewünschte Fachrichtung zum Beispiel mit 'BWL mit Schwerpunkt Marketing oder vergleichbare Qualifikation' angeben." Wer Geschichte studiert habe, aber drei Jahre Erfahrung im Marketing vorweisen könne und über vergleichbare Fähigkeiten und Kenntnisse wie ein BWLer verfüge, sei einem Studenten dieser Fachrichtung gleichgestellt, sagt Markus. "Woher die Erfahrung kommt, ist mir letztlich egal."
Auch Dr. Wolf-Bertram von Bismarck, Personalleiter bei Fielmann, bekommt Bewerbungen von Absolventen, deren Studium sie nicht direkt für eine ausgeschriebene Stelle qualifiziert. "Fielmann stellt immer wieder auch Mitarbeiter ein, die nachweisen können, dass ihre Persönlichkeit und ihre bisherigen Tätigkeiten unserer Philosophie entsprechen. Wer vom Typ zu uns passt und kompetenzmäßig breit aufgestellt ist, bei dem ist die Ausbildung je nach Anforderungsprofil der Stelle gegebenenfalls nachrangig." Wer also Finno-Ugristik in Kombination mit Ernährungswissenschaft und Meereskunde studiert, zuvor aber eine kaufmännische Ausbildung absolviert hat und nebenbei als Werkstudent in einer Personalberatung arbeitet, hat trotz seiner Exotenfächer Chancen auf einen Job in der Personalabteilung.
"Mal 'irgendwas mit Medien' machen wollen - das klappt heute nicht mehr. Der Bewerber muss wissen, was er will und was er kann, und das am besten so früh wie möglich", sagt Fielmann-Personalleiter Wolf-Bertram von Bismarck. Ein Rat, der bisher nicht bei vielen Studenten Anklang findet. "Geisteswissenschaftler neigen dazu, sich sehr auf ihr Fach zu konzentrieren und zu sehr auf den Bereich Kultur oder Universität zu gucken", meint auch Matthias Remberg. "Dabei sollten sie vielmehr Wert darauf legen, dass sie ihre Fähigkeiten später auch wirtschaftlich verwerten können."
Karin Becker (30), studierte Linguistin mit den Nebenfächern Soziologie und Ethnologie, wollte nach dem Studium eigentlich ihre Doktorarbeit schreiben und vorerst an der Uni bleiben. "Als das nicht klappte, habe ich ein Praktikum bei einer Stiftung im sozialen Bereich gemacht." Der dortige Vorsitzende war gleichzeitig Chef einer IT-Firma. "Er hat mir einen Job im Produktmanagement angeboten." Ihr Studium habe ihr beim Koordinieren von Arbeiten viel geholfen, sagt Becker. Ebenso bei der Marktforschung. "Geisteswissenschaftler haben die Fähigkeit, sich in komplexe Zusammenhänge schnell hineinzudenken, um Lösungen zu finden, wie man sie aufarbeiten kann."
Auch Remberg glaubt an die Fähigkeiten der Geisteswissenschaftler. Als Unternehmensberater sitzt er bei Bewerbungsgesprächen mittlerweile auf der anderen Seite des Tisches, auf der des Personalentscheiders. Sein eigener Lebenslauf beeinflusst ihn in der Auswahl der Kandidaten. Er sagt: "Geisteswissenschaftler haben bei mir sogar einen kleinen Startvorteil. Sie sind nicht so verwöhnt vom Arbeitsmarkt wie beispielsweise BWLer und daher umso motivierter, wenn sie eine herausfordernde Aufgabe bekommen", sagt er.