Es ist acht Uhr morgens, die Sonne strahlt auf den Jilore See und das ihn umgebende Sumpfgebiet. Amina Simba von der Naturschutzorganisation Nature Kenya führt die rund zwei Dutzend Teilnehmer ihrer Vogelbeobachtungstour näher ans Ufer. Ferngläser werden weitergereicht, die Männer und Frauen identifizieren grazile weiße Seidenreiher, Klaffschnäbel-Störche, schwarze Kormorane.
Andere Arten sind unscheinbar, tarnen sich gut mit grauem oder braunem Gefieder. „Ich mag die Herausforderung, die genaue Vogelart herauszufinden", sagt Amina Simba. Seit drei Jahren beschäftigt sie sich mit den Vögeln, die an der kenianischen Küste heimisch sind. Jede Woche zieht sie los, um Vögel zu beobachten und danach ihre Beobachtungen festzuhalten.
Besonders mag sie solche mit brillierenden Farben - so wie den rot-orange leuchtenden sansibarischen Oryxweber, der mit seinem schwarzen Bauch und der fast neonfarbenen Frisur wie ein kleiner Punk aussieht. Gelassen schaukelt er auf den oberen Spitzen von Maisstauden und wildem Hirsegras, bevor er im Flug seine ganze Farbpracht zeigt.
Die Vogelbeobachterinnen und -beobachter ihrer Gruppe sind bunt gemischt an diesem Samstag. Viele sind Tourismus-Studierende aus dem ganzen Land, die gerade in der Gegend Praktikum machen. Dazu kommen Vogelfans, die in der kleinen Küstenstadt Malindi leben. Hin und wieder nehmen auch Touristen an den Vogelwanderungen teil. Vor der Corona-Pandemie machte der Tourismus rund zehn Prozent des kenianischen Bruttoinlandsprodukts aus, 2021 waren es nur noch rund fünf Prozent. Tourismus ist in Kenia eng mit Naturerlebnissen und auch mit dem Erhalt der Natur verbunden.
Millicent Ndegwa ist 22 Jahre alt und studiert Tourismus. Auch an der Uni gibt es eine Vogelbeobachtungsgruppe, die regelmäßig Ausflüge macht. Die Daten all dieser Spaziergänge sammelt die 1909 gegründete Naturschutzorganisation Nature Kenya und wertet sie dann aus. In einem dicken Buch über die Vögel Ostafrikas sucht Millicent Ndegwa nach Webervögeln, um eine ganz bestimmte Unterart zu identifizieren. Andere haben eine App auf ihrem Smartphone installiert, die ihnen zusätzlich noch den Gesang der Vögel vorspielen kann. Das ist vor allem dann von Vorteil, wenn sich Arten wie der Tropenwürger so gut in den Büschen verstecken, dass nur ihr besonderer Ruf sie verrät.
Klimaveränderungen und die globale Erwärmung haben dazu geführt, dass es in einigen Teilen Kenias im vergangenen Jahr kaum Regenfälle gab. Die Durchschnittstemperaturen steigen. „Vögel sind ein guter Indikator dafür, ob das Ökosystem im Gleichgewicht ist", sagt Amina Simba. Sie fressen Schädlinge, sind aber auch selbst Futter für andere Tiere.
Je trockener es ist, desto weniger Vögel finden sich in einem bestimmten Habitat. 55 Vogelarten, die in Kenia leben, stehen auf der Liste der gefährdeten Arten. Eine davon, die Madagaskarbrachschwalbe, identifiziert die Gruppe am Jilore See nach längerer Diskussion anhand der hellen Bauchfedern und den weißen Streifen entlang der Augen.
Eine weitere Bedrohung der einheimischen Vogelwelt sind die indischen Hauskrähen, die von den Briten zur Kolonialzeit nach Ostafrika gebracht wurden. Sie sollten dabei helfen, Müll zu beseitigen. Mittlerweile sind sie in den Küstenstädten zur Plage geworden. Sie fressen Eier und Küken der anderen Vögel. In größeren Gruppen nehmen sie es selbst mit dem Afrikanischen Fischadler auf.
Der Vogelspaziergang ist rundum ein Naturerlebnis, immer wieder kreuzt der Weg die geschäftigen Straßen von Treiberameisen. Wer die übersieht, spürt das schnell, wenn ein paar Verteidungsameisen flink in die Beine beißen. Farbenfrohe Schmetterlinge lassen den kleinen Angriff schnell in Vergessenheit geraten. Rund 30 Vogelarten in zwei Stunden - keine schlechte Bilanz.
„Wir müssen die Vögel als unseren eigenen Schatz betrachten. Viele Menschen hier essen wilde Vogelarten. Aber wir müssen versuchen, gut mit der Umwelt zusammenzuleben", sagt Amina Simba. Dafür hat Nature Kenya in vielen Gegenden Gruppen gegründet, in denen die Jugendlichen vor Ort dabei unterstützt werden, die Natur zu erhalten und kleine Öko-Tourismus-Projekte zu gründen.