Gott, was waren wir naiv. Anfangs war Corona für viele Eltern „noch" eins von vielen Themen in den Nachrichten. Klar, sprachen wir beim Kinderturnen oder an der Kitatür kurz über das Virus und die verrückten Hamsterkäufe. Ein Klopapierwitz zwischen Tür und Angel geht immer. Klar achteten wir konsequenter auf das Händewaschen - auch gegen den Protest des Kindes. Und natürlich haben wir vergeblich versucht, in der Apotheke Desinfektionsmittel zu kaufen. Mehr als Kopfschütteln über die surreale Panik war das aber nicht. Und plötzlich wurde es realer. In Italien und Frankreich schlossen die Schulen und Kindergärten. Aufregung in der Kita-Whatsapp-Gruppe. Nein, wir planen bisher keine ähnlichen Schließungen, sagte noch die Kita-Leitung. Kurzfristige Ruhe.
Coronavirus: Immer informiert
Dann wurde es konkret: An einem Donnerstag empfahl der Krisenstab der niedersächsischen Landesregierung die Schließung aller Schulen und Kitas. 25 Whatsapp-Nachrichten innerhalb von zehn Minuten, wilde Spekulationen nach dem Motto „Bestimmt werden nur die Schulen geschlossen", wachsende Panik unter den Eltern. An einem Freitag gab es dann Gewissheit: Wir alle bleiben fünf Wochen mit den Kindern zu Hause - keine Kita, keine Schule, im ganzen Land. Zum Glück gibt es ja noch Tierparks oder den weitläufigen Zoo - dort werden wir uns sicher sehen. So verabschiedeten wir uns voneinander, ohne Handschlag versteht sich. Und vielleicht können wir sogar zum Kinderturnen, dachten wir. Immerhin wollte der örtliche Sportverein weiter geöffnet bleiben - so die Aussage der Bundesfreiwilligendienstler seinerzeit.
Wie einschneidend die Maßnahmen für unseren Alltag werden, ahnten die meisten von uns zu diesem Zeitpunkt nur vage - trotz aller mahnenden Worte des Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité. Bei den europäischen Nachbarn schlossen derweil die meisten Geschäfte, Spielplätze, Tierparks, Büchereien. Was, wenn das auch bei uns passiert? Beunruhigt fuhr ich noch am Freitag mit meinem Sohn einkaufen - nicht in den Supermarkt, sondern in den örtlichen Spielzeugladen und die Buchhandlung. Conni im Kindergarten, ein großes Vorlesebuch mit 27 Geschichten, etwas Astrid Lindgren, Bücher für einen sprechenden Stift, dazu eine Handpuppe für das Puppentheater, zwei Ausmal- und Klebebücher, Playmobil. Auf diese Idee bin ich nicht alleine gekommen. Der Laden war voll mit Müttern und Vätern. Der Inhaber hatte alle Verkäuferinnen für die Hamsterkäufe der besorgten Eltern einbestellt.
So absurd es heute erscheint, wer will es uns verübeln? Wenn alle Anlaufstellen, die fünf lange Wochen mit Kleinkind erträglicher gestalten würden, unerreichbar sind, sind Kreativität (und viel Spielzeug) gefragt. Zu Hause wird nun in Schichten gearbeitet, abwechselnd Kinder-Betreuung leisten und danach die Ruhe und den Kaffee am Homeoffice-Schreibtisch genießen. Wir radeln manchmal in den menschenleeren Wald, sammeln ein paar Tannenzapfen, haken jeden Tag Laub im Garten, üben Fahrradfahren, backen Bananenkekse oder Kuchen, lesen, spielen, bauen mit Bauklötzen. Und schwups, ist es schon Mittag.
Nach mehr als zwei Wochen „Corona-Schließung" waren wir alle schon mal am Rande der Verzweiflung, haben uns gestritten und unnötig rumgebrüllt und danach gemeinsam gekuschelt. Aus „Ausnahmsweise gibt es am Sonntag die Maus" wurde ein tägliches Fernsehritual, genau wie die Youtube-Turnstunde eines Berliner Basketballvereins. Aber vor allem haben wir alle die Dimensionen von Corona erkannt. Wir bleiben drinnen, erzählen uns wehmütig von Ausflügen in den Zoo und den Spielzeug laden, sehen befreundeten Familien nur im Video-Chat, haben uns mit all dem ein Hauch von Alltag geschaffen. Trotzdem habe ich mir eins vorgenommen. Ich werde unseren Erzieherinnen danken, für die tolle und kreative Arbeit, die sie täglich mit den Kindern leisten. Gleich am ersten Tag, wenn die Normalität zurückkehrt ist.
Birk Grüling ist freier Bildungsjournalist und lebt mit seiner Familie im Hamburger Speckgürtel. Weil die Kitas geschlossen haben, wechseln seine Frau und er sich im Homeoffice ab.