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AfD als Mehrheitsbeschafferin für die CDU

Audio: Inforadio | 18.12.2020 | Birgit Raddatz | Bild: Daniel Karmann/dpa

Die AfD regiert in vielen Ländern und auch auf kommunaler Ebene mit. In der CDU gilt eigentlich ein Unvereinbarkeitsbeschluss zur Zusammenarbeit mit den politischen Rändern. Doch der ist offenbar dehnbar, wie das Beispiel Reinickendorf zeigt. Von Birgit Raddatz

Konzentriert schaut Felix Schönebeck in die Kamera. Der CDU-Politiker, bekannt auch als Initiator der "I love Tegel"-Kampagne, trägt in der Online-Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vor, warum er gegen eine Ansiedlung eines offenen Vollzugs von Straftätern in Reinickendorf ist. Zum Schluss sagt er: "Wir nehmen das Sicherheitsgefühl der Menschen im Bezirk ernst. Und wir werden uns ganz genau ansehen, wer von unseren Kollegen in der BVV für oder gegen diesen Antrag stimmt, denn ich weiß, dass das die Menschen in Tegel brennend interessieren wird."

Schönebecks Aussage ruft eine Welle der Entrüstung bei den anderen Fraktionen hervor. Sie fassen den Vorstoß als Drohung auf. Doch wahrscheinlich wissen sie bereits, wer für den CDU-Antrag und damit gegen den offenen Vollzug stimmen wird: Die AfD hat allein im vergangenen Jahr rund 20 Prozent der CDU-Anträge zugestimmt - und ihnen damit zu einer Mehrheit verholfen. "Das finde ich schon heftig", sagt der Politikwissenschaftler Jochen Franzke von der Universität Potsdam.

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Heftig findet das auch der Grünen-Fraktionsvorsitzende Hinrich Westerkamp. Für ihn ist das seit über vier Jahren ein virulentes Thema. "Die AfD gibt sich in der BVV Reinickendorf als die bürgerliche Alternative, ihre Hauptredner argumentieren auf einem CDU-Level."

Nicht nur rhetorisch, auch inhaltlich finden sich einige Schnittmengen zwischen der CDU Reinickendorf und der AfD. Aber gerade deswegen sieht Hinrich Kommunalpolitikerinnen und -politiker in einer besonderen Verantwortung. "Politik ist auf dieser Ebene am nächsten am Bürger dran. Wir sind alle aufgefordert, die AfD da nicht weiterkommen zu lassen." Bevor die AfD in die Bezirksverordnetenversammlung in Reinickendorf einzog, hatte die CDU eine Zählgemeinschaft mit den Grünen.

Die CDU möchte sich nicht dazu öffentlich äußern. Aus Insiderkreisen heißt es, die Fraktion stecke in einem Dilemma. Zum einen gebe es eine sachpolitische Nähe bei vielen Themen, zum anderen halte man die AfD nicht für eine normale Partei, mit der einfach so zusammengearbeitet werden dürfe.

Genau dieses Signal sende die CDU Reinickendorf aber mit ihrem Abstimmungsverhalten, befindet der Politikwissenschaftler Franzke. "Damit wird eine Normalität eingeführt, die überdeckt, was sonst noch so an Gedankengut in dieser Partei vorhanden ist."

Die CDU argumentiert, das Abstimmungsverhalten der AfD nicht bei jedem Antrag zu kennen. Franzke hält das für vorgeschoben. Und rät, von manchen Themen die Finger zu lassen. Im Sommer hatte die AfD einen Antrag zum Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 Jahre eingebracht. Die CDU schrieb den Antrag kurzerhand um, mit den Stimmen der AfD wurde er angenommen [berlin.de]. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Empfehlung an den Senat Berlin.

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Auch die AfD findet das Umschreiben ihrer Anträge durch die CDU nicht gut. Allerdings aus anderen Gründen. "Die AfD Reinickendorf ist eine selbstbewusste Partei", sagt der Bezirksvorsitzende der Partei in Reinickendorf und stellvertretende Landesvorsitzende, Rolf Wiedenhaupt. "Die Unterschiede werden wir im kommenden Wahlkampf herausarbeiten, wir sind keine CDU 2.0!"

Auch der Grünen-Politiker Hinrich Westerkamp glaubt, die CDU versuche dadurch an die AfD verlorengegangene Wählerstimmen wiederzugewinnen. "Ich glaube aber, am Ende wählen die das Original."

Wie schwierig es ist, überhaupt nicht mit der AfD bei Sachthemen abzustimmen, weiß Westerkamp aus eigener Erfahrung. Als die Partei einen Fahrstuhl im Rathaus für Menschen mit Behinderung forderte, stimmten die Grünen zu. Der Antrag fand jedoch keine Mehrheit. "Wir haben noch keinem Antrag der AfD zugestimmt", sagt Reinickendorfs SPD-Fraktionsvorsitzender Marco Käber beinahe etwas stolz. Die CDU wähle den bequemen Weg und nutze die "Reservemehrheit" mit der AfD häufig bei den Themen aus, bei denen sie Diskussionen mit den anderen Fraktionen erwarte, etwa bei der Unterbringung von Flüchtlingen oder beim Bau neuer Radwege.

Derzeit stellt die AfD in Reinickendorf acht Bezirksverordnete. SPD und Grüne hoffen, dass sich die Mehrheitsverhältnisse mit den kommenden Wahlen im September wenigstens ein bisschen ändern. Ob das von den Wählerinnen und Wählern auch so gewollt ist, muss sich noch zeigen.

Sendung: Inforadio, 18.12.2020, 09:50 Uhr Die Kommentarfunktion wurde am 18.12.2020 um 14:00 Uhr geschlossen

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Beitrag von Birgit Raddatz

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