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Wie das Neutralitätsgesetz die Berliner Koalition spaltet

Bild: dpa/Jörg Carstensen

Das Bundesarbeitsgericht urteilte im August, dass ein pauschales Verbot von religiösen Symbolen an staatlichen Institutionen unzulässig ist. Seitdem ringt die Koalition um das Berliner Neutralitätsgesetz. Auch innerhalb der SPD kriselte es. Von Birgit Raddatz

Natürlich kommt es immer mal wieder vor, dass der ein oder andere Berliner Abgeordnete in den Ausschüssen nicht anwesend sein kann. Auffällig ist aber schon, wenn zum Beispiel gleich zwei der juristischen Experten der SPD dem Rechtsausschuss fernbleiben. So geschehen am Mittwoch:Statt Tom Schreiber und Sven Kohlmeier kamen der haushaltspolitische Sprecher Torsten Schneider, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Susanne Kitschun, und der Präsident des Abgeordnetenhauses in seiner Rolle als Abgeordneter, Ralf Wieland.

Zur Abstimmung stand der vom Ausschuss mehrmals verschobene CDU-Antrag, der sich gegen das Tragen von religiösen Symbolen von Referendaren richtet. Darin heißt es: "Eine derartige Entscheidung widerspricht dem aktuell gelten Neutralitätsgesetz und höhlt die im Grundgesetz verankerte staatliche Neutralitätspflicht vollständig aus." Zwar gilt weiterhin ein Kopftuchverbot für Staatsanwälte und Richter - Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne)hatte aber vor gut einem halben Jahr beispielsweise das Verlesen einer Anklage von Referendarinnen mit Kopftuch erlaubt, wenn ein Ausbilder dabei ist.

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Bei den Gerichten plädieren die SPD-Rechtspolitiker für religiöse Neutralität und brechen damit offen mit dem Koalitionspartner Grüne, die religiöse Symbole in staatlichen Institutionen grundsätzlich erlauben wollen. Das geht so weit, dass Schreiber und Kohlmeier am Mittwoch der Abstimmung über den CDU-Antrag fernbleiben. "Ich teile den Antrag inhaltlich, weil wir aber als Koalition einheitlich abstimmen müssen, habe ich mich dafür entschieden, politisch pinkeln zu gehen, wie man so schön sagt", sagt Kohlmeier. Sprich: Für Kohlmeier und Schreiber stimmen nun die Abgeordneten Wieland, Kitschun und Schneider gegen den Antrag der Opposition.

Richtig entbrannt ist der Streit durch ein Gerichtsurteil. Vergangenen August hatte das Bundesarbeitsgericht geurteilt, dass ein pauschales Verbot von religiösen Symbolenunzulässig ist - eine Klatsche für das Berliner Neutralitätsgesetz. Eine angehende Lehrerin und Muslima hatte geklagt und Recht bekommen. Nur wenn der Schulfrieden im Einzelfall gestört würde, könnte es ein Kopftuchverbot geben, so die Begründung. Die Grünen jubelten bereits, die SPD bremste.

Denn eigentlich hätte der Senat handeln und das Gesetz anpassen müssen. Doch stattdessen reichte Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) im Alleingang eine sogenannte Anhörungsrüge beim Bundesarbeitsgericht ein. Damit will sie erreichen, dass das Verfahren neu aufgenommen wird.

Offiziell sieht Scheeres Verfahrensfehler und drohte, bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen. Das Bundesarbeitsgericht habe sein Urteil auf rechtliche Gesichtspunkte gestützt, zu denen das Land sich nicht habe äußern können, argumentiert die Bildungsverwaltung. Das geht aus einer bisher unveröffentlichten Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Sebastian Walter hervor, die dem rbb vorliegt. Zudem seien die Standpunkte der Berliner Bildungsverwaltung im Verfahren nicht thematisiert worden, heißt es.

Mit der SPD-Fraktion war die Entscheidung Scheeres' damals allerdings nicht abgestimmt. Bei einem eilig einberufenen Treffen hieß es später aus Teilnehmerkreisen, es ginge darum, Zeit zu gewinnen bis nach den Wahlen im September. Dieser Linie habe sich auch Berlins Innensenator Andreas Geisel angeschlossen.

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Nach außen präsentiert die SPD zwar ein mehr oder weniger geeintes Bild. So sagte zum Beispiel die bildungspolitische Sprecherin der Sozialdemokraten, Maja Lasic, vergangenen August in einem Interview mit der "Berliner Zeitung": "Wir als Gesamtpartei glauben nach wie vor, dass das Neutralitätsgesetz seine Validität hat."

Rechtspolitiker der SPD würden das zwar in Bezug auf die Gerichte unterstreichen. Es gibt aber innerhalb der Partei unterschiedliche Auffassungen darüber, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden sollte. "Ich verstehe Bildungspolitiker, die sagen, sie wollen keine religiösen Symbole. In meiner Grundschule wären die Eltern aber schon froh, wenn überhaupt ein ordentlicher Lehrer da wäre", sagt SPD-Rechtspolitiker Kohlmeier. Neutralität an Gerichten also ja, an Schulen dann vielleicht doch eher nur im Einzelfall.

Und so versucht die Partei derzeit, eine Änderung des Neutralitätsgesetzes möglichst lange hinauszuzögern. Auf Anfrage bei der Fraktionsspitze heißt es, es sei "kein Lieblingsthema" und man sehe das Neutralitätsgesetz auch eher auf der Ebene des Senats. Sollte das Bundesarbeitsgericht die Anhörungsrüge jedoch nicht zulassen, wird sich auch die Fraktion unter Umständen noch vor dem 26. September mit dem Thema beschäftigen müssen.

Sendung: Abendschau, 10.03.2021, 19:30 Uhr Die Kommentarfunktion wurde am 11.03.2021 18:59 Uhr geschlossen Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Birgit Raddatz

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