Vor 65 Millionen Jahren am Ende der Kreidezeit ging die Welt unter - drei Viertel aller Lebewesen starben aus, darunter die Dinosaurier. Die Ursache des Exitus ist umstritten, ein Meteoriteneinschlag war wohl beteiligt. Die Ozeane wurden zu gigantischen Friedhöfen. Die großen Meeresreptilien wie Fischechsen und Mosasaurier fielen der Katastrophe zum Opfer, aber auch Plankton und Ammoniten gingen ein.
Ammoniten sind spiralförmige Schalentiere, die knapp zwei Meter groß werden konnten. Mehr als 350 Millionen Jahre bevölkerten sie die Ozeane; es gab vermutlich rund 30.000 Arten der gekringelten Schwimmer. Ammoniten sind eng mit Kalmaren und Kraken verwandt. Wegen ihrer Häufigkeit bezeichnen Paläontologen Ammoniten gern als "die Dinosaurier des kleinen Mannes". Doch trotz ihrer zahlreichen steinernen Überreste ist über die Tiere wenig bekannt. Jetzt liefert eine Studie von Paläontologen um Kazushige Tanabe von der Universität Tokio im Wissenschaftsmagazin "Science" einen Einblick in ihre Lebensweise, die Ursache ihres Aussterbens und über das wirkliche Aussehen der rätselhaften Tiere.
Bisher wusste man nur, dass die urzeitlichen Meeresbewohner eine äußere Schale hatten, die in Kammern unterteilt war. Im letzten und größten Abschnitt, der sogenannten Wohnkammer, lebte das Weichtier, die anderen Kammern waren mit Luft gefüllte Auftriebskörper. Die Tentakel und der Kopf mit der Mundöffnung ragten aus der Wohnkammer heraus. Der Mundapparat eines Ammoniten bestand aus Ober- und Unterkiefern und einer Raspelzunge, der Radula.
Auf der Jagd nach Plankton
Mit Hilfe der sogenannten Röntgen-Synchroton-Mikrotomographie konnten die Forscher jetzt die winzigen Kiefer und Raspelzungen von Ammoniten detailgenau rekonstruieren. "Zum ersten Mal konnten wir diese filigranen und außergewöhnlich gut erhaltenen Strukturen beobachten", sagt Isabelle Kruta vom Pariser Museum National d'Histoire Naturelle, eine Mitautorin der "Science"-Studie. "Ich war überrascht, als ich die Zähne und die Nahrungsreste sah."
Kruta und ihre Kollegen untersuchten drei 70 Millionen Jahre alte Baculiten, eine lang gestreckte Form der Ammoniten, die in einem Steinbruch in South Dakota in den USA gefunden worden waren. Weichteile sind bei Fossilien selten erhalten, doch bei diesen Exemplaren schon: In der Wohnkammer der Tiere liegen die versteinerten Reste der Mundapparate. Die filigranen Strukturen offenbaren sich im Röntgen-Synchroton-Mikrotomographen zu Oberkiefer, Unterkiefer und einer mit langen, feinen Zähnen besetzten Raspelzunge - das Urzeitwesen wird gleichsam wieder erschaffen.
Ammoniten konnten demnach mit ihren zarten, langen Zähnen wie heutige Tintenfische im Wasser schwebendes Plankton fangen. In der Mundöffnung eines Fossils entdeckten die Forscher sogar noch die zerkauten Reste der letzten Mahlzeit: drei kleine Krebse und eine winzige Schnecke aus dem urzeitlichen Plankton. Diese Ammoniten haben also Plankton gefressen.
Die Forscher erklären die erfolgreiche Entwicklung der Ammoniten nun im Zusammenhang mit Plankton: Mitautor Neil Landman vom American Museum of Natural History glaubt, dass Ammoniten in der Kreidezeit so zahlreich wurden, weil viele neue Planktongruppen entstanden waren, die die Ammoniten ernährten.
High-Tech-Reise in den Mikrokosmos
Auch das gleichzeitige Massensterben von Plankton und Ammoniten am Ende der Kreidezeit dürfte nach Ansicht der Forscher zusammenhängen. Viele erwachsene Kopffüßer und alle Jungtiere ernährten sich anscheinend von Plankton. Mit dem Wegfall ihrer Nahrungsgrundlage war ihr Schicksal wohl besiegelt.
Der Nachweis in "Science", dass Baculiten Plankton aus dem Wasser gefiltert haben, erklärt die Nahrungskette des Ozeans vor 70 Millionen Jahren auf neue Weise. "Wir haben nun verstanden, dass Ammoniten eine ganz andere ökologische Nische eingenommen haben, als wir bisher gedacht haben", sagt Isabelle Rouget von der Pariser Pierre et Marie Curie-Universität.
Die Forscher sind voll des Lobes für die Technologie, die die neuen Einblicke möglich gemacht hat: "Die Röntgen-Synchroton-Mikrotomographie ist die beste Technik für die zerstörungsfreie Untersuchung der inneren Strukturen von Fossilien", sagt Paul Tafferou von der Europäischen Synchroton Radiation Facility in Grenoble. "Für diese Studie haben wir die sorgfältig präparierten Exemplare zuerst mit konventionellen Verfahren gescannt. Aber erst das Synchroton-Verfahren brachte diese herausragenden Ergebnisse: die Entdeckung der Radulazähne und des Planktons."
Die moderne Röntgen-Synchroton-Mikrotomographie ermöglicht eine 1000-fach höhere Auflösung als bisherige Verfahren. Forscher aus aller Welt kommen ins Labor nach Grenoble - für eine High-Tech-Reise in den Mikrokosmos der Vergangenheit.