SPORTMAGAZIN: 2006 hast du das Ende deiner alpinen Rennkarriere bekannt gegeben, seither ist es in den Medien ruhiger um dich geworden. Wie hat sich dein Leben in den vergangenen Jahren verändert?
Daron Rahlves: Mir war es wichtig, an einem Punkt auszusteigen, an dem es mir noch Spaß gemacht hat. Ich wollte nicht das Gefühl haben, durch eine Verletzung oder jüngere Fahrer hinausgedrängt zu werden. Ich vermisse die Atmosphäre bei den großen Rennen in Europa, aber die Vorbereitungen und das viele Training vermisse ich definitiv nicht. Ich genieße die Zeit mit meiner Frau Michelle und meinen beiden Kindern. Mein Ziel war es, die Brücke vom Rennsport zum Freeskiing zu schlagen, und ich denke, das ist mir ganz gut gelungen. Ich arbeite intensiver als zuvor mit Atomic und Red Bull zusammen und durfte einige tolle Parts in Filmen spielen.
Du hast auch eine eigene Freeride-Tour ins Leben gerufen. Worum geht es dabei?
Die Tour heißt "Rahlves Banzai Tour" und hat im Moment noch drei Stopps in den USA. Man kann sich das als eine Mischung aus Freeskiing und Skicross vorstellen. Während meiner aktiven Zeit wollte ich immer beim "Red Bull White Rush" am Krippenstein teilnehmen, aber als ich 2006 aufhörte, fand der Event nicht mehr statt.
Bei einem Banzai-Lauf geht es ähnlich wie beim White Rush um die besten Skills am Berg. Nur der beste Allroundskifahrer schafft es über das unterschiedliche Terrain ins Ziel und weil man sich Kopf an Kopf mit den Gegnern messen muss, ist auch eine Menge Taktik, Strategie und mentale Stärke im Spiel.
Wann hast du deine Leidenschaft für das Freeriden entdeckt?
Ich denke, vom ersten Tag an. Ich war als Kind in einem Skiverein und da sind wir oft im Gelände um die Wette gefahren. Vor meinem ersten Weltcupsieg im Jahr 2000 in Norwegen war ich in Tahoe freeriden. Es war ein unglaublicher Tag mit dem Buckelpisten-Olympiasieger Jonny Moseley und meinem leider bereits verstorbenen Teamkollegen Shane McConkey. Ich weiß nicht, ob ich deshalb gewonnen habe, aber ich hatte immer ein gutes Gefühl beim Freeriden. In freiem Gelände musst du einfach viel anspruchsvollere Situationen meistern als am Rennski.
Haben die US-Trainer deine Freeride-Ambitionen gutgeheißen?
Solange du als Rennläufer die Leistung bringst, die von dir erwartet wird, ist es den Trainern egal, was du in deiner Freizeit machst. Ich habe das Freeriden immer als Ergänzung zum Renntraining gesehen. Man testet seine Balance und Kraft unter den härtesten Bedingungen. Über die Weihnachtsfeiertage war ich oft mit Axel Naglich, einem Extremskifahrer und guten Freund von mir, in Kitzbühel.
Wir haben uns dann von acht Uhr früh bis vier Uhr nachmittags den Berg gegeben. Solche Tage waren die Highlights meiner Saison, sie haben mich zurück in die Realität geholt. Vor Abfahrtsrennen habe ich mir dann diese Freeride- Erlebnisse in Erinnerung gerufen und versucht, sie auf der Piste umzusetzen.
Wie hat die Freeski-Community auf deinen Umstieg reagiert?Ich denke, ich habe mir schon einigen Respekt in der Skiwelt erarbeitet. Ich habe natürlich nicht den gleichen Background wie die meisten Freerider, aber ich kann schnell fahren und schaffe jede noch so schwierige Line. Meine Sprünge sind dann eben gerade und weit. 2010 habe ich den Powder-Video-Award gewonnen, das war ein Riesenerfolg für mich und mein Einstieg in die Freeski-Szene. Ich möchte ein Statement setzen und zeigen, dass auch Rennfahrer gute Freeskier sein können.
Im neuen Film "One for the Road" von TGR (Teton Gravity Research) bretterst du irgendwo in Alaska einen extrem steilen Hang im Backcountry hinunter, der anders als die Streif weder präpariert noch mit Fangzäunen gesichert ist. Hattest du keine Angst?
Beim Freeriden ist Vertrauen das Wichtigste, Vertrauen in dich selbst und in die Leute, mit denen du unterwegs bist. Früher habe ich oft die Filme von Typen in Alaska gesehen und mir gedacht, da wäre ich sicher schneller gewesen oder weiter gesprungen. Aber wenn du selbst da oben stehst, kommen dir Zweifel, denn es sieht immer anders aus als auf Fotos oder Videos.
Eine professionelle Filmcrew wie die von TGR, die nur aus erfahrenen Guides besteht, ist für dich als Athlet dann wie eine gute Gesundheitsversicherung, die du vor einer Reise abschließt. Das Risiko bleibt kalkulierbar und es wird einfach jede Szene bis ins Detail abgesprochen. Du hörst dann über Funk den Countdown, dein Herz klopft, aber du kannst dich voll und ganz auf dich und deine Fähigkeiten konzentrieren. Wäre ich dort allein gewesen, wäre ich diesen Hang nie im Leben hinuntergefahren.
Was fasziniert dich so am Freeriden?
Es geht natürlich immer darum, die eine, monumentale Line zu finden und den Rausch zu erleben. Du hast viel Zeit in das Projekt investiert und das Gefühl, wirklich etwas zustande gebracht zu haben, wenn du unten bist. In solchen Momenten fühle ich mich lebendig und sie machen das Leben lebenswert. An einem Tag, an dem ich nicht geschwitzt habe und mich nicht gepusht habe, bin ich nicht zufrieden. Ich glaube, man kann viel mehr Dinge erreichen, als man glaubt, einfach nur, indem man sich traut und sie probiert.
Auf deiner Website schreibst du, dass dein letzter Trip auf Mount Shasta deine Einstellung zum Skifahren verändert hat. Warum?
Ich war eigentlich immer ein Pistenkind. Ich bin oben vom Sessellift gehüpft und später aus dem Helikopter. Wenn du aber selbst den Berg hochmarschierst, den du später hinunterfährst, ist das in Wahrheit viel bereichernder. Der Mount Shasta ist etwa 4000 Meter hoch. Ich war mit Jeremy Jones unterwegs, einem der besten Snowboard-Mountaineerer, die ich kenne.
Wir sind über acht Stunden zum Gipfel aufgestiegen. Man baut eine viel stärkere Verbindung mit der Natur auf und hat das Gefühl, die Abfahrt wirklich verdient zu haben. Für mich sind solche Trips das ultimative Erleben von Winter.
Zur Person: Daron Rahlves wurde am 12. Juni 1973 in Walnut Creek/Kalifornien geboren und feierte seinen ersten WM-Titel als 17-jähriger Jetski-Pilot. Seine größten Alpin-Siege feierte er bei der Ski-WM 2001 in St. Anton im Super-G, in Kitzbühel triumphierte er 2003 in der Abfahrt und 2004 im Super-G. Nach seinem Karriereende 2006 (als Vierter im Gesamtweltcup), gewann er 2008 die Winter X Games im Skicross.
Heute lebt er mit Ehefrau Michelle und den vierjährigen Zwillingen Dreyson und Miley im nordkalifornischen Truckee. Neben dem aktiven Skisport arbeitet der Hobbysurfer und -dirtbiker mit Atomic an der Entwicklung von Backcountry-Skiern. Sein Lieblingsspot sind die Berge des Sugarbowl-Resorts, wo er auch als Skilehrer und Ausbildner tätig ist.
Infos: www.daronrahlves.com, www.rahlvesbanzai.com.