Die Beziehung zu den Eltern ist für die meisten Menschen an Erwartungen geknüpft. Wie geht man damit um, wenn man den teils unerfüllbaren Ansprüchen eines oder beider Elternteile nicht gerecht werden kann?
Susanne*, 31, Niedersachsen*Meine Eltern haben ein Problem mit mir und allem, was ich tue. Sie wollten nicht, dass ich das Abitur mache und studiere, weil sie Akademiker:innen für hochnäsig halten. Ich entschied mich trotzdem dafür. Ab der elften Klasse musste ich neben der Schule jobben, weil meine Eltern mich finanziell nicht mehr ausreichend unterstützten. Sie wollten, dass ich eine Ausbildung mache und mein eigenes Geld verdiene, die Oberstufe hielten sie für überflüssig. Sie drohten sogar damit, mich zu Hause rauszuschmeißen, falls ich in der Schule bliebe. Ich versuchte meinen Eltern den Sinn des Abiturs zu erklären. Aber sie sagten nur: "Wir sind die Erwachsenen und du bist das Kind." An das Jugendamt oder an Lehrer:innen wandte ich mich nie, weil ich mich nicht traute.
Mein Bruder ist drei Jahre jünger als ich und hat eine geistige Behinderung. Für ihn taten meine Eltern alles. Sie machten mit ihm Hausaufgaben und fuhren für Arztbesuche quer durch Deutschland. Ich wurde zu meinen Großeltern ausgelagert. Als ich 13 war, sollte ich meinem Bruder das Schwimmen beibringen. Das traute ich mir aufgrund seiner Behinderung nicht zu. Außerdem hatte ich keine Lust. In Situationen wie dieser lautete der Lieblingssatz von meinem Vater: "Stell dich nicht so an!" Aus Angst vor noch mehr Druck fuhr ich einmal in der Woche mit meinem Bruder in die Schwimmhalle.
Ich bin in einem niedersächsischen Dorf aufgewachsen. Wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre, hätte ich einen weißen cis Mann aus dem Dorf geheiratet, der Handwerker ist und gern Bier trinkt. Als ich 22 war, forderten sie, dass ich schnellstmöglich ein Kind bekommen sollte, weil sich das in unserer so gehöre: Meine Großmutter war sehr früh schwanger geworden, meine Mutter hatte mich mit 25 bekommen. Ich war damals mitten in meinem Studium und nicht für ein Kind bereit. Meine Eltern bezeichneten mich als "Trockenpflaume". Mit der Beschimpfung meinten sie eine verbitterte alte Frau vom Dorf, die keine Kinder bekommen hatte.
Vergangenes Jahr heiratete ich meinen Mann. Meine Eltern mögen ihn nicht, weil er studiert hat. Auf unserer Hochzeit begrüßten sie uns nur kurz, meckerten über das Essen und ignorierten uns die meiste Zeit. Mein Mann und ich kündigten an, in einen anderen Ort zu ziehen. Wir hatten dort Jobs und eine Wohnung gefunden. Das kränkte meinen Vater. Er hatte immer von mir verlangt, dass ich in unserem Dorf bleibe. Er wollte immer, dass ich mich im Dorf engagiere und in den Schützenverein eintrete. Mein Mann und ich sind trotzdem umgezogen. Wegen meiner schlechten Beziehung zu meinen Eltern mache ich seit einigen Jahren eine Psychotherapie. Ich überlege, den Kontakt zu ihnen abzubrechen.
Can*, 35, DortmundMeine Schwester und ich sind die verlängerten Arme unserer Eltern. In den Achtzigern sind sie als Gastarbeiter:innen aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Sie sprechen nur wenig Deutsch und sind deshalb in vielen Dingen abhängig von uns. Etwa um Briefe zu schreiben oder Flugtickets zu kaufen. Ich liebe meine Eltern über alles und unterstütze sie gern. Doch meine Zeit ist begrenzt und ich habe oft das Gefühl, dass sie sich auf meinen Fähigkeiten ausruhen.
Schon als ich 13 Jahre alt war, schrieb ich Briefe und Rechnungen für den Matratzenlieferdienst meines Vaters. Oft saß ich von elf bis drei Uhr nachts am Schreibtisch, um ihm bei der Steuererklärung zu helfen, obwohl ich am nächsten Tag zur Schule musste. Mit YouTube-Tutorials hatte ich mir beigebracht, wie man Rechnungen in Excel ordnet. Zudem half ich fast 20 Jahre als Kurier bei seiner Firma aus, ohne dafür bezahlt zu werden. Im Studium fuhr ich in den Semesterferien Matratzen aus, immer sechs Wochen am Stück. Ich hatte erst ab 18 Uhr Freizeit, während meine Kommiliton:innen den ganzen Tag chillen konnten.
Ich nahm es trotzdem hin, ohne zu hinterfragen. Ich fühlte mich gegenüber meinen Eltern verpflichtet, weil ich die deutsche Sprache beherrsche. Die Sprache, die ihnen wegen ihrer Migrationsgeschichte Schwierigkeiten bereitet. Meine Eltern stammen aus Großfamilien, in denen es normal war, dass Kinder viel mithalfen.
Wenn ich keine Zeit habe, ist mein Vater beleidigt und sagt: Früher habe ich meinen Vater auch unterstützt. Can
Als ich 27 war, reichte es mir: An einem Sonntag waren meine Schwester, meine Cousins, meine Freundin und ich zu Besuch bei meinen Eltern. Ich erledigte Papierkram für meinen Vater und hörte, wie die anderen im Wohnzimmer redeten und lachten. Als ich später dazukam, wollten alle nach Hause fahren. Ich erkannte, dass ich oft schöne Momente verpasste, weil ich dauernd für meine Eltern verfügbar war und sie fast immer nur zum Arbeiten besuchte. Ich war enttäuscht und sagte zu ihnen: "Ich bin euer Sohn und nicht euer Mitarbeiter!"
Von da an übte ich, Nein zu sagen. Wenn ich einen einfachen Brief für sie schreiben sollte, sagte ich ab diesem Tag: "Sorry, aber das müsst ihr selbst lernen." Meine Mutter reagierte verständnisvoll, mein Vater wirkte traurig. Er stand vor der Herausforderung, dass er die Aufgaben gern selbst erledigen würde, es aber nicht gut konnte. Ich erklärte ihm, dass ich an meinen freien Sonntagen keine Briefe mehr für seine Firma schreiben wolle, und sagte: "Papa, du machst jetzt immer vorher mit mir einen Termin aus: Entweder machen wir einen Arbeits- oder einen Familientag." Das hat dann auch gut funktioniert.
Noch immer ruft mich mein Vater ab und zu an und bittet mich um einen Gefallen. Meistens helfe ich dann. Wenn ich keine Zeit habe, ist mein Vater beleidigt und sagt: "Früher habe ich meinen Vater auch unterstützt."