Den ersten Kältetoten hatte der deutsche Winter in diesem Jahr bereits gefordert, bevor die Temperaturen überhaupt unter den Gefrierpunkt sanken: Am 8. November erfror ein wohnungsloser Mann in Rostock. Passanten fanden ihn in einem Gebüsch in der Altstadt. Ein tödlicher Mix aus Alkohol und Kälte kostete ihn das Leben.
Jedes Jahr erfrieren in Deutschland Menschen ohne Wohnung. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat die Kältetoten seit 1991 gezählt. Insgesamt sind demnach in den vergangenen 22 Jahren mindestens 278 Wohnungslose auf Deutschlands Straßen gestorben - oder auf Parkbänken, in Abbruchhäusern und unter Brücken.
In der Bundesrepublik sind nach Schätzungen der Arbeitsgemeinschaft knapp 24.000 Menschen obdachlos, Tendenz steigend. "Bei der Entwicklung der Mieten ist klar, dass die Zahl derjenigen ansteigt, die ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können", sagt "BAG W"-Geschäftsführer Thomas Specht zu tagesschau.de. Bund und Länder hätten deswegen eine politische Mitverantwortung für die steigende Wohnungslosigkeit.
Es sind jedoch die Kommunen, die mit dem Problem umgehen müssen: Sie sind verpflichtet, für Schutz vor Obdachlosigkeit und Kältetod zu sorgen. Denn wenn die körperliche Unversehrtheit eines Menschen bedroht ist, so drücken sich Juristen aus, dann ist auch die öffentliche Sicherheit in Gefahr. Und die müssen die Kommunen schützen, notfalls sogar gegen den Willen der Betroffenen. Neben regulären Einrichtungen für Wohnungslose eröffnen deswegen viele Städte Notunterkünfte in den Wintermonaten.
Hamburg hat in diesem Jahr sein bislang größtes Winternotprogamm aufgelegt. Am 1. November öffnete die Sozialbehörde in Zusammenarbeit mit Kirchen und freien Trägern Notunterkünfte für 700 Menschen.
2012 waren es zu Beginn des Winters noch 252 Plätze in Wohncontainern oder ehemaligen Bürogebäuden, die jedoch schnell aufgestockt werden mussten. Insgesamt nutzten 2559 Personen die Schlafplätze im vergangenen Winter. Zeitweise waren die Notunterkünfte so voll, dass Menschen dort statt in den Betten in Fluren oder auf Stühlen schlafen mussten. Das soll in diesem Jahr anders sein, doch Experten aus der Wohnungslosenhilfe gehen davon aus, dass auch die 700 Plätze nicht reichen werden.
Erfrierungsschutz steht zwar jedem unabhängig von der Nationalität zu, aber besonders willkommen sind wohnungslose Migranten den Kommunen nicht. Und sie werden immer mehr, in Hamburg kamen im vergangenen Winter 42 Prozent der Winternotprogrammnutzer aus Osteuropa. In der Hansestadt werden Wohnungslose, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Grundsicherung haben, in diesem Winter erstmals in separaten, minderwertigeren Unterkünften untergebracht - wenn sie sich als solche zu erkennen geben. "In der Realität findet diese Trennung eher nicht statt", sagte ein Sprecher der Sozialbehörde im Gespräch mit tagesschau.de.
Viele Betroffene meiden auch die Massenunterkünfte mit Hunderten Plätzen, in denen teilweise Dutzende in einem Raum schlafen müssen. Einige haben Sorge, dort bestohlen oder zum Alkoholismus verleitet zu werden. Andere sind psychisch nicht in der Lage, sich unter so vielen Menschen zu behaupten. "Da komme ich kaputter wieder raus, als ich reingegangen bin", sagt der Hamburger Obdachlose Daniel tagesschau.de. Statt in einer Massenunterkunft zu schlafen, ziehe er die kalten Nächte im Freien vor. Denn: "Da drin stürzt man richtig ab."
"Es gibt oft Defizite bei den Unterkünften, die im Winter geöffnet werden", so "BAG W"-Sprecher Specht. Frankfurt öffnet das Untergeschoss einer S-Bahnstation für die Obdachlosen, für die in anderen Unterkünften kein Platz mehr war. Betten gibt es dort keine. Auch in Berlin sind die 500 Notübernachtungsplätze, die die Stadt finanziert, lediglich mit Isomatten ausgestattet. Viele Einrichtungen in der Hauptstadt sind regelmäßig überfüllt. Letzte Rettung für die, die das abschreckt, sind häufig Kältebusse karitativer Einrichtungen, die nachts Decken, Tee und Suppe an die Menschen auf der Straße verteilen.
"Besonders viel Nachholbedarf gibt es im ländlichen Bereich", sagt Specht. Nicht wenige kleinere Städte bieten nämlich überhaupt keine Notunterkünfte an, manche verweisen Wohnungslose im Notfall einfach an die Einrichtungen anderer Kommunen.
An die Bürger appelliert die "BAG W", die Polizei über hilflose Wohnungslose in Kenntnis zu setzen - und bei akuter gesundheitlicher Gefährdung den Rettungsdienst 112.