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Wieso hat Krzysztofs Platte gebrannt?

Vor dem Landgericht läuft ein Prozess wegen versuchten Mordes an zwei Obdachlosen.
Ein 30-Jähriger soll im Januar an den Landungsbrücken ihren Schlafplatz angezündet haben. Ob er wirklich der Täter ist, wird akribisch untersucht.


Der Weg zur Wahrheit kann langwierig und kompliziert sein. Für Krzysztof führt er am 14. August durch eine Sicherheitsschleuse, über 49 Treppenstufen und durch eine schwere Eichenholztür. Der Saal 237 mit seinen dunklen Holzvertäfelungen an den Wänden macht Eindruck auf den Obdachlosen: Er zittert, obwohl er gar nicht auf der Anklagebank sitzt. „Ich bin sehr aufgeregt“, entschuldigt er sich beim Vorsitzenden Richter Stephan Sommer, der umrahmt von zwei weiteren Richtern und drei Schöffen auf ihn herabschaut.

Der 30-jährige ebenfalls obdach­lose Dorian kam durch eine andere Tür in den Saal, direkt aus dem Untersuchungsgefängnis. Er sitzt gelassen neben einer Dolmetscherin. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, am 31. Januar den Schlafplatz von Krzysztof und dessen Freund Slawomir auf einem Parkdeck an den Landungsbrücken angezündet zu haben. Die beiden schlafenden Obdachlosen entkamen nur knapp dem Feuertod, beide wurden mit Verbrennungen im Krankenhaus behandelt. Slawomir an der Hüfte, Krzysztof sogar im Gesicht. 

Dorians Anwältinnen sagen, für die Schuld ihres Mandanten gebe es keine Beweise. Dem Vorwurf des versuchten Mordes stellen sie sich in einer Erklärung „entschieden entgegen“. Dennoch sitzt Dorian seit sieben Monaten in U-Haft. Videokameras hatten ihn in der Brandnacht in der Nähe des Tatorts aufgenommen – an den Landungsbrücken und vor dem Empire Riverside Hotel. Bereits am Tag darauf nahm ihn die Polizei fest. „Dieser Fall zeigt erneut, wie wichtig es ist, zeitnah mit vorhandenem Bild- oder Videomaterial nach dem gefährlichen Täter zu fahnden“, hatte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer die schnelle Verhaftung damals kommentiert.

Ob Dorian wirklich dieser Täter ist, versuchen die Richter am Landgericht mit großer Akribie herauszufinden. Auch die Arbeit der Mordkommission nehmen sie detailliert auseinander. Zehn Prozesstage sind dafür angesetzt.

Dorian hatte in der polizeilichen Vernehmung ausgesagt, er sei auf dem Weg von den Landungsbrücken in die Bernhard-Nocht-Straße nicht durch das Parkhaus gegangen, in dem etwa zur gleichen Zeit das Feuer ausbrach. Wenn das stimmt, hätte er es auch nicht legen können. 

Hier brachten die Kriminalbeamten Trude ins Spiel, einen der drei Personenspürhunde der Hamburger Polizei. Trude kann anhand von verlorenen Hautschuppen feststellen, welchen Weg ein Mensch genommen hat, theoretisch auch noch nach Wochen. Und tatsächlich läuft Trude auf Dorians Spur am 10. Februar zunächst zwischen dem Eingang zum Alten Elbtunnel und der Hafenkante entlang, um dann das Parkdeck zu durchqueren. Sie ging „letztendlich genau am Tatort vorbei“, sagt ein Ermittler vor Gericht aus. 

Damit wäre erwiesen, dass der Angeklagte zur Tatzeit am Tatort gewesen sein muss – könnte man meinen. Aber so einfach macht es sich das Gericht nicht. Stattdessen wird stundenlang ein Sachverständiger zu Trudes Riechfähigkeiten befragt. Er sagt, dass eine Hautpartikelspur zum Beispiel durch Wind viele Meter verschoben werden kann. Und Trudes Hundeführer bezeugt, dass sie in bis zu 15 Prozent der Fälle auch mal falsch liegt. „Auch der Hund ist manchmal nur ein Mensch“, sagt er. 

Die Verhandlung zieht sich. Dem Justizbeamten, der Dorian in den Gerichtssaal begleitet hat, fallen mehrmals die Augen zu. Er döst einfach weg.

Auch Krzysztof muss nach zweieinhalb Stunden Befragung kräftig gähnen. Als der Richter ihn fragt, ob er den Angeklagten kennt, steht er auf und mustert Dorian gründlich. Dann sagt er: „Ich sehe ihn zum ersten Mal.“ Das ist einigermaßen überraschend, denn Dorians Motiv für die Brandstiftung soll laut Staatsanwaltschaft ein Streit um den Schlafplatz gewesen sein. Die beiden müssten sich demnach eigentlich kennen. 

Auf einem vorgelegten Foto erkennt Krzysztof dann jemanden: „Der wollte bei uns einziehen, aber da war nur Platz für zwei Personen“, sagt Krzysztof über den Mann, den er als „verrückt“ beschreibt und vom Flaschensammeln auf dem Beatles-Platz kennen will. Das Bild zeigt den Angeklagten, den er eben gerade noch nie gesehen haben wollte. „Ich habe Probleme mit dem Gedächtnis“, sagt Krzysztof an anderer Stelle. Slawomir können die Richter nicht mehr fragen: Er ist inzwischen verstorben (nicht an den Folgen des Feuers).

Die Aufklärung gestaltet sich schwierig. Bei Redaktionsschluss sind immer noch mehr Fragen offen als geklärt. Ein Urteil wird wohl erst im September fallen. Fest steht aber bereits: Leichtfertig wird es nicht ergehen.


Aus: Hinz&Kunzt September 2017