1 subscription and 2 subscribers
Article

Kommission goes Kommune

Klimawandel, Armut, soziale Ausgrenzung – zu tun haben damit am Ende häufig Städte. Nun setzt die EU auf eine Urban Agenda

Die Zukunft Europas liegt in den Städten. Schon heute leben dort über 70 Prozent aller Europäer, Städte gelten als Wirtschaftsmotoren. Zugleich treten dort jedoch auch gesellschaftliche Probleme am deutlichsten zutage: Armut, soziale Ausgrenzung, Ursachen und Folgen des Klimawandels. All das kommt am Ende ganz unten an. Auf diese – keineswegs neue – Erkenntnis hat man nun auch auf EU-Ebene reagiert. Am 3o. Mai haben sich die EU-Mitgliedsstaaten mit dem Pakt von Amsterdam auf eine Urban Agenda verständigt. Die Kommissarin für Regionalpolitik Corina Crețu erklärte, das Engagement der EU für die Städteagenda zeige, dass die Kommission städtischen Fragen auf ihrer Agenda eine höhere Priorität einräume.


Das klingt nach Symbolik und tatsächlich sind mit der Urban Agenda keine messbaren Ziele oder Zugeständnisse verknüpft. Denn auch wenn im Pakt von Amsterdam globalpolitische Fragen aufgegriffen werden – man will nicht von EU-Ebene aus direkt in städtische Angelegenheiten eingreifen. In Zeiten des EU-Skeptizismus, in denen viele Menschen mit der EU und ihren Institutionen primär einen unnahbaren Bürokratieapparat verbinden, will man sich nicht die Finger verbrennen. So ist auch im Pakt selbst festgeschrieben, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht angerührt wird.


Stattdessen soll alles etwas enger zusammenrücken. Zu ingesamt 12 verschiedenen Themen, von der Frage nach bezahlbarem Wohnraum über Armut, Verbesserung der Luftqualität bis hin zum Thema Flüchtlingsintegration sollen sich Partnerschaften bilden: EU-Institutionen, Mitgliedsstaaten, Stadtverwaltungen, aber auch NGOs und Gewerbetreibende sollen sich auf Augenhöhe begegnen und darüber beraten, wie diese Probleme gelöst werden können. Das Ziel: Es soll praktischer werden, EU-Gelder sollen unkomplizierter zu bekommen sein, Städte und Regionen sollen auf EU-Ebene mitreden können, alle voneinander lernen. Das macht durchaus Sinn: Denn wie man Geflüchtete wirklich in die Gesellschaft integrieren kann, geht viele Städte etwas an. Und Berlin könnte sich so einiges von Amsterdam abschauen, wenn es um Verbesserungen für Fahrradfahrer geht.

Für Markku Markkula, Vorsitzender des Ausschusses der Regionen, einem Gremium, das die Interessen von Städten und Regionen der EU vertritt, ist die Urban Agenda ein Paradigmenwechsel hin zu einer Politik, die von der Basis kommt: „Städte müssen eine starke Rolle spielen. Und es ist wichtig, dass das ganze nun in einem Pakt zwischen allen Mitgliedsstaaten niedergeschrieben ist – auch wenn es nicht besagt, dass die Agenda bindend ist. Das ist sie gewiss nicht. Aber es gibt den Städten, die mehr bewegen wollen, größere Freiheiten. Sie sollen die Möglichkeiten bekommen, Pioniere zu sein. Darauf haben wir etwa ein Jahrzehnt gewartet.“


Tatsächlich wird eine solche Urban Agenda schon lange gefordert und es passt gut, dass es ausgerechnet unter niederländischer Ratspräsidentschaft schließlich geklappt hat. Denn die Niederlande selbst hat bereits eine urbane Agenda, in Städten wie Amsterdam oder Rotterdam ist die Debatte um den städtischen Raum ein großes Thema.

Was die Agenda am Ende aber wirklich bewirken wird, muss sich erst noch zeigen. Schon zuvor gab es immer wieder Beschlüsse über die Zukunft von Städten, für einen besonderen Diskurs haben sie jedoch nicht gesorgt. Sicher ist, dass sich nicht von einem Moment auf den anderen etwas ändern wird. Die Unterzeichnung des Paktes war lediglich ein Anfang, zudem fließt kein Geld, das unmittelbar investiert werden könnte – zum Beispiel in den sozialen Wohnungsbau. Am Ende wird die Urban Agenda also vor allem indirekt wirken, indem die neuen Prozesse den Städten und Kommunen mehr Gehör verleihen. Dem bürokratischen EU-Apparat schaden verbesserte, praxisorientierte Abläufe sicher nicht.

Gleichwohl bleibt die Gefahr, dass die Urban Agenda einfach ein weiteres von vielen EU-Papieren wird, zumal es keine Ziele gibt, die wirklich gut messbar wären. Ob eine Stadt lebenswert ist, ist schwieriger zu bemessen als Armutsquote oder Feinstaubbelastung. Hella Dunger-Löper, Europabeauftragte des Landes Berlin und Berichterstatterin zur Urban Agenda für den Ausschuss der Regionen hofft dennoch, dass die Urban Agenda nicht folgenlos bleiben wird: „Der Druck auf die Städte ist so groß, dass bestimmte Dinge jetzt einfach geleistet werden müssen. Zum Beispiel die Einbeziehung von Interessengruppen und der Zivilgesellschaft. Ich bin überzeugt, dass dieser Druck nicht nur Negatives, sondern auch Positives bewirkt.“


Die Rolle, die die Zivilgesellschaft für die Gestaltung der Städtespielt, wird im Pakt tatsächlich explizit anerkannt. „Städte sind vor allem eine Art Bindeglied, die Einfluss nehmen können auf größere politische Prozesse. Die eigentliche Arbeit leisten aber Bürger, Universitäten, Geschäfte in den Städten. Sie treiben die Innovationen in allen Bereichen voran“, betont auch Markku Markkula.

Das sind warme Worte, der Einfluss der Bürger wird wohl trotzdem begrenzt bleiben. In den Partnerschaften können Interessengruppen mit befragt werden, sie müssen es aber nicht. Dagegen sind unter anderem Vertreter von Stadtverwaltungen und Mitgliedsstaaten festgeschrieben. Überdies werden die Bürger nur als eine von mehreren Interessengruppen gesehen, die beteiligt werden sollen – genauso wie NGOs und die Privatwirtschaft. Es wird entscheidend sein, wessen Interessen am stärksten wahrgenommen werden. Auf EU-Ebene erhofft man sich jedenfalls, dass die Städte die Wirtschaft ankurbeln. Das Diktum des Wachstums, es bleibt auch in der Urban Agenda gegenwärtig. Darüber soziale Fragen nicht zu vergessen, wird eine der großen Herausforderungen sein.


Denn das Gefühl, abgehängt zu sein – gerade von der abstrakten Brüsseler Politik – ist freilich auch in den Städten gegenwärtig.„Immer mehr Bürger sagen, sie wollten nicht noch mehr Europa“, erklärte der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb jüngst auf einer Veranstaltung des Ausschuss der Regionen in Brüssel. „Als Bürgermeister auf einer lokalen Ebene kann ich das verstehen. Ich glaube viele Menschen sagen nein, weil es nicht gelungen ist, ein Europa für die Bürger zu schaffen.“ Container kämen von Norden nach Süden, eine Milliarde Euro im Handumdrehen von Amsterdam nach Berlin. Aber wenn man in einer armen Gegend lebe, sei es ein Drama, die Kinder ins Bildungssystem zu bekommen. Dies habe mit dem mangelnden Willen in Europa zu tun, ein Europa für die Bürger schaffen. Aboutalebs Lösung: „Bei der Urban Agenda ist es wichtig, dass das Europäische Parlament, die Kommission aber auch die nationalen Parlamente in Zukunft auf die für die Bürger wichtigen Dinge konzentrieren, zum Beispiel eine umfassende Sozialagenda.“

Original