Auch die Argumente für beide Sprachen sind nicht neu: Die Lateinverfechter verweisen gerne auf den Nutzen fürs später vielleicht geplante Studium und den automatisch integrierten Geschichtsunterricht, während es von der anderen Fraktion heißt: Auf Französisch könne man sich auch unterhalten, und zwar in nicht gerade wenigen Ecken der Welt. Altersgerechter und ebenso relevant ist natürlich noch das Kriterium, wie sich denn eigentlich der beste Kumpel entscheidet.
Die Frage nach der „richtigen“ Fremdsprache bleibt aber auch nach Schule und Universität erhalten – und stellt sich Berufstätigen im Lauf ihrer Karriere immer wieder. Ergibt es etwa Sinn, Chinesisch zu pauken, wie gut und wie schnell kann man das überhaupt lernen oder wären Spanisch und eine osteuropäische Sprache vielleicht doch hilfreicher? Konsens besteht eigentlich nur in einem Punkt: An Englisch führt kein Weg mehr vorbei. Das bedeutet allerdings nicht, dass man mit Englisch nicht mehr glänzen kann.
Bei Älteren rostet das Englisch ein
Jutta Boenig begegnet das Thema immer wieder. Sie arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als Karriereberaterin und sagt: „Ich würde jedem raten, sein Schulenglisch aufzufrischen und auf Business Englisch zu erweitern.“ Boenig ist die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung. Zu ihr kommen viele Führungs- und hochqualifizierte Fachkräfte. Da sei heute keiner mehr dabei, der überhaupt kein Englisch beherrsche, sagt sie. Doch gerade die Älteren täten sich bisweilen schwer, weil sie Englisch lange kaum gebraucht hätten und es nun eingerostet sei. Unrühmliche Beispiele gibt es auch bei Weltkonzernen. So sorgte der ehemalige VW-Chef Matthias Müller im Jahr 2016 mit einem Radio-Interview auf Englisch für reichlich Irritationen. Auch interne Konferenzen mit internationalen Führungskräften und sogar Verhandlungen im Ausland soll der damalige VW-Vorstandsvorsitzende weitgehend auf Deutsch abgehalten haben, zum Teil mit Hilfe von Übersetzern.
Jugend allein ist ebenfalls kein Garant für gutes Englisch. Zwar schreiben heute viele in ihre Bewerbung selbstbewusst „verhandlungssicher“. Doch wenn es darauf ankomme, gerieten einige oft ins Schwimmen, berichtet Boenig. Für sie ist also klar: „Nur mit souveränem Englisch kann man punkten“.
Briten vertrauen zu sehr auf Muttersprache
Die Sprache ist der einfachste Weg, sich mit Kunden und Kollegen aus aller Welt zu vernetzen. Das hat ganz praktische Folgen: „Immer mehr Unternehmen im deutschsprachigen Raum stellen ihre Firmensprache auf Englisch um“, sagt Miya Komori-Glatz von der Wirtschaftsuniversität Wien. Deutsch ist damit nicht von heute auf morgen verboten. Vielmehr sollen Kommunikationsbarrieren in zunehmend international besetzten Teams aus dem Weg geräumt werden, am besten, bevor sie entstehen. Auch der global präsente VW-Konzern hat diesen Schritt inzwischen vollzogen.
Englisch als Konzernsprache ist aber keineswegs der Schlüssel für internationale Geschäftserfolge. Das zeigt sich ausgerechnet im weltläufigen Großbritannien. Dort gehen der einheimischen Wirtschaft jedes Jahr Verträge im Volumen von rund 50 Milliarden Pfund durch die Lappen, wie eine Analyse im Auftrag der Regierung aus dem Jahr 2014 zeigt. Der Grund: mangelnde Fremdsprachenkenntnisse des Topmanagements und anderer Führungskräfte. Im Klartext: Die Briten verlassen sich zu oft und zu stark auf die globale Anwendbarkeit ihrer Muttersprache.
Sich irgendwie verständigen zu können ist zudem nicht alles. Die Muttersprache des Gegenübers zu beherrschen schafft eine ganz andere Gesprächsbasis. „Sogar ganz geringe Kenntnisse der Sprache der Geschäftspartner leisten einen Beitrag zum Vertrauen“, ist Komori-Glatz überzeugt. Sprachkompetenzen zahlen sich so spürbar aus. Sie verleihen bestimmten Mitarbeitern im Unternehmen zudem eine gewisse Interpretationshoheit in den entsprechenden Feldern. Das wiederum birgt die Gefahr von Schattenhierarchien.
Ein Problem, das man in der Wirtschaft offenbar auf dem Schirm hat – sehr zur Freude von Babbel. Das Berliner Unternehmen bietet Sprachkurse per App an. Mehr als eine Million zahlende Kunden nutzen das Angebot aus 14 Sprachen. Neuerdings hat Babbel auch ein Programm für industrielle Anwender. Zur Kundschaft gehören Konzerne wie Mittelständler, darunter auch der Kreuzfahrt-Anbieter Aida. Was die Mitarbeiter dort lernen, kann variieren: „Die Kurse docken an relevante Themen für die Arbeitnehmer an“, sagt die Leiterin des Firmenprogramms Susanne Wechsler.
Im Ranking der Sprachen führt Englisch vor Spanisch. Französisch und Italienisch teilen sich den dritten Platz. Welche Fremdsprache „die richtige“ für den Beruf ist, hängt vom persönlichen Karriereweg ab und lässt sich kaum planen. Grundsätzlich würde Karriereberaterin Boenig zu Spanisch raten. Die Vorteile: Mit Spanisch ist man für Süd-und Mittelamerika gut präpariert, und in den Vereinigten Staaten wächst der Anteil der Hispanics rasant:. „Spanisch ist die einzige Schulfremdsprache, die Zuwachs verzeichnet“, sagt auch Karin Vogt von der Pädagogischen Universität Heidelberg.
Latein schlägt sich tapfer
Lernten an allgemeinbildenden Schulen 2014/2015 noch rund 404 000 Kinder und Jugendliche Spanisch, waren es zwei Jahre später mehr als 425 000. Chinesisch oder Arabisch spielten kaum eine Rolle, was wohl an der hohen Komplexität der beiden Sprachen liegt. „Chinesisch etwa ist eine Tonsprache und nutzt ein völlig anderes Schriftsystem, als wir es kennen“, sagt Vogt. Auch für Babbel sind die beiden Sprachen noch kein Thema, obwohl es für Arabisch Anfragen gebe.
Die vermeintlich tote Sprache Latein hält sich derweil wacker – auch, weil sich der Unterricht gewandelt hat. „Es geht nicht mehr nur um den reinen Grammatikzugang, heute wird die Kreativität mehr gefördert“, sagt Lehrer Betzing. Mittlerweile lege man viel mehr Wert auf Wortschatzarbeit, die Texte seien zugänglicher, und in Übungen versuche man etwa Anknüpfungen an Englisch oder Italienisch aufzuzeigen. Vielleicht ist es der größte Trumpf von Latein, dass es die Basis der romanischen Sprachen ist und das Lernen von Spanisch oder Französisch durchaus erleichtert. Expertin Vogt warnt allerdings davor, zu früh nur auf den Nutzen für die Karriere zu schauen: „Die Sprachwahl an der Schule sollte von den Interessen und Möglichkeiten des Kindes ausgehen.“
Die Sprache vor Ort lernen
Wer sich für die berufliche Laufbahn eine Sprache aneignen will, hat heute ohnehin viele Möglichkeiten. Karriereberaterin Boenig empfiehlt, möglichst ins jeweilige Land zu gehen: „So lernt man kulturelle Aspekte ebenso wie Redewendungen und versteht eher, was zwischen den Zeilen mitschwingt.“ Beliebte Sprachbilder etwa ergeben wörtlich übersetzt oft keinen Sinn, und wer die Eigenheiten eines Landes einschätzen kann, hat zweifellos einen unschätzbaren Vorteil, wenn es ums Geschäftliche geht.
An der Schule spielen derlei Aspekte noch keine Rolle. Hier treibt die Kinder vor der Sprachwahl viel mehr um, warum die Freunde in der Französisch-Klasse einen Jahrgang obendrüber angeblich nur noch schlechte Noten bekommen. So ein Schreckensszenario erhält in dieser Phase erstaunlich viel Gewicht.
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