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Roter Teppich im Knast - Berlinale in der JVA Tegel

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Deutschlandfunk Kultur, 24.02.2018

Die Berlinale zeigt den Film "Das schweigende Klassenzimmer" in der JVA Tegel. Und die Insassen entdecken in dem DDR-Drama einige Parallelen zu ihrer eigenen Lage

Von Benjamin Dierks

Mauern, Zäune, schwere Gefängnistore und Justizbeamte mit dickem Schlüsselbund – der Weg zu dieser Filmvorführung sieht etwas anders aus als normalerweise bei der Berlinale. Aber einen roten Teppich mit Neonlicht und Scheinwerfern, den gibt es auch hier in der Justizvollzugsanstalt Tegel.

„Und es sieht eigentlich fast aus wie am Potsdamer Platz hier. Wir haben jetzt in wenigen Minuten die Zuführung, dann kommen die aus den verschiedenen Bereichen, die Gefangenen, die sich für die Veranstaltung vorgemeldet haben, die werden jetzt sozusagen über den roten Teppich in den Kultursaal in den dritten Stock hochgehen und sich dann platzieren und dann Film ab!“

Axel Briemle, Leiter der sozialpädagogischen Abteilung der Haftanstalt, hat den Filmabend mit der Berlinale organisiert und begrüßt die Insassen am Eingang. Rund dreißig von ihnen haben sich angemeldet. Und die sind sichtlich angetan.

„Ja, es ist das erste Mal, dass ich über den roten Teppich gehe, ich werde es sehr genießen, wollen wir mal sehen, was es mit mir macht.“
„Also ich bin ein Fan der Berlinale, da ich auch aus Berlin komme.“
„Also grundsätzlich finde ich es sehr gut, dass in der JVA Kulturveranstaltungen stattfinden. Leider sind viele Mithäftlinge zu faul zu kommen manchmal.“

Im Saal wartet bereits Berlins Justizsenator Dirk Behrendt von den Grünen, der die Berlinale-Vorführung im Knast angestoßen hatte.
O3 Behrendt

„Wir bemühen uns, den Gefangenen ein kulturelles Angebot zu ermöglichen, es gibt auch mal ein Konzert, denn wir sind ja gehalten, die Lebensverhältnisse im Gefängnis denen draußen anzugleichen.“

Gezeigt wird „Das Schweigende Klassenzimmer“ von Regisseur und Drehbuchautor Lars Kraume. Die Filmauswahl hatte der Justizsenator den Fachleuten überlassen.

„Das hat die Berlinale vorgeschlagen, wobei wir dann darüber gesprochen haben, dass jetzt ein Film, wo Ausbruch im Zentrum steht, nicht der geeignetste wäre, und vielleicht auch nicht der gewalttätigste Actionfilm der geeignete ist.“

Der Film, der am vergangenen Dienstag bei der Berlinale Premiere, beschreibt die Geschichte einer Abiturklasse in der DDR in Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt, die sich 1956 mit dem Aufstand in Ungarn solidarisiert.

„‚Hört mal, alle, wir machen eine Schweigeminute, wegen den Ungarn.‘ ‚Was?‘ ‚Wir sagen nichts, zwei Minuten lang, in Angedenken der gefallenen ungarischen Genossen.‘ ‚Spinnst du jetzt völlig, Kurt?‘“

Aus den Schweigeminuten der Schulklasse entwickelt sich ein Skandal, in den sich selbst der damalige Minister für Volksbildung einschaltet. Das Aufbegehren der Schüler wird zur Konterrevolution erklärt und soll niedergeschlagen werden. Das Drama um Widerstand und Repression, Solidarität und Verrat reißt die Insassen in Tegel spürbar mit.

Im Anschluss an die Vorführung stellt der Regisseur Lars Kraume sich den Fragen der Zuschauer.

„Was mich noch interessieren würde, ob das irgendeine Rolle spielt, dass da diese Unfreiheit herrscht und hier auch.“

Dabei merkt er, wie direkt viele die Geschichte des Films auf ihre eigene Lage im Gefängnis beziehen.

„Ich habe danach noch ein Gespräch mit einigen Inhaftierten, zwei, die auch lebenslänglich hatten, geführt, und die sagten, dass diese Art des Umgangs des Ministers mit den Schülern und auch der Kreisschulrätin, die da diese Schüler unter Druck setzt, dass das schon ganz schön viel Ähnlichkeit auch mit dem Alltag der Inhaftierten hat. Und das ist natürlich interessant. Also die Auswahl des Films hier in der JVA Tegel ist speziell und ganz schön passend.“

Neben dem Mitgefühl für die im Film geschilderten Schicksale beschreiben mehrere der inhaftierten Zuschauer, welche Parallelen sie beobachtet haben.

„In diesem Verhindern von der Opposition oder in diesem Kleinmachen der Gegenwehr, um zu sagen, hallo, hier sollte es Fortschritt geben, hallo, hier ist was nicht richtig, oder das einfache Infragestellen, dass das nicht gern gesehen wird, und das sehe ich ziemlich oft und sehr deutlich.“

Unter den Zuschauern ist auch Hauke Burmeister. Der Häftling hatte sich im vergangenen Jahr als
Stationssprecher mit anderen Insassen in einer Petition gegen einen als „abwertend, verständnislos und überheblich“ kritisierten Sozialarbeiter gewehrt. Auch er fühlte sich durch den Film angesprochen.

„Dieser Film zeigt – das war ja nicht beabsichtigt, kann er ja nicht gewusst haben – in so krasser Weise, was hier heute in dieser JVA Tegel stattfindet, da machen sie sich gar keinen Begriff von.“

Bei allem Bemühen, die Lebensverhältnisse in der Haft denen draußen anzugleichen, die Wahrnehmung hinter den Gefängnismauern bleibt eine andere.

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