Es stand zuletzt nicht gut um die Schönheit. Sie schien überholt, antiquiert, nicht mehr zeitgemäß - zumindest als Idee. Und auch wer ganz praktisch versuchte, auf hergebrachte Weisen schön zu sein oder wenigstens schön auszusehen, machte sich lächerlich. Die Straßen der Großstädte Europas waren gesäumt von Menschen in möglichst unförmiger Kleidung. Es war ein Phänomen, das man den Imperativ ironischer Hässlichkeit nennen konnte.
Ganz bewusst ist der vorangegangene Absatz in der Vergangenheitsform geschrieben. Denn durch die Corona-Krise könnte die Schönheit eine zweite Chance bekommen und Hässlichkeit und Ironie könnten wieder aus der verdrängt werden. Doch bevor sich diese These und doch ganz erfreuliche Nachricht ausführen und belegen lässt, muss leider erst geklärt werden, wie es überhaupt so weit kommen konnte.
Wann genau es losging mit der Mode des Hässlichen, ist auch rückwirkend nur schwer zu sagen. Begann es zum Beispiel damit, dass manche Männer Ende der Nullerjahre Flanellhemd und Herrendutt gegen unförmige Weihnachtspullover und Hornbrillen eintauschten? Jedenfalls war es 2014, als der deutsch-georgische Designer Demna Gvasalia das, was sich bereits andeutete, verbal so zuspitzte, dass es für potenziell jeden nachvollziehbar wurde. Er sagte: " It's ugly, that's why I like it". Etwas lieben, weil es hässlich ist: Das schien dann auch die Mission des Labels Vetements zu sein, das Gvasalia gemeinsam mit anderen Absolventen des Modefachbereichs der Antwerpener Kunstakademie in der ungebrochen schönen Stadt Paris gründete.
Das Phänomen, dass sich junge Menschen aller Geschlechter und sexuellen Präferenz immer mehr dem Unkonventionell-Unästhetischen hingezogen fühlten, fand im Klobigen und Kastenförmigen der Entwürfe des Modehauses seine Vollendung; Vetements widmete zudem völlig antiexklusive Arbeitskleidung wie etwa die Logo-T-Shirts der DHL-Paketboten in begehrenswerte Produkte um, indem es sie einfach unfassbar überteuert anbot. Man konnte das als Verhöhnung hart arbeitender Menschen verstehen (was es mutmaßlich nicht war) - oder als ironische Kritik am Brand-Wesen der Modebranche: Logos wecken Begehrlichkeiten, also kann man durch sie das eigentlich Nichtbegehrte zu Wertvollem umdefinieren. Dass Paketboten in der Corona-Krise einmal in den Rang des nahezu Systemrelevanten aufsteigen sollten, konnte Gvasalia nicht ahnen. Aber die Kategorie der " Ugly Fashion", der "hässlichen Mode", war damit geschaffen.
Die Antiästhetik des High-End-Labels Vetements wurde durch preiswerte Onlineanbieter wie Asos sogar für jeden erschwinglich. Man sah nun viele Frauen, die zu Röcken Sneakers trugen, die so bunt und unförmig waren wie Fußballtrikots der Neunzigerjahre (darum nannte man die Turnschuhe auch schlicht "Ugly Sneakers"); oder Crocs, die Lieblingsplastikschuhe campender Rentner, nun auf mehrere Zentimeter hohe Absätze gehievt. Dazu wurden Daunenjacken kombiniert, die aussahen, als hätte man sich ein Schlauchboot um den Körper gewickelt. Männer wiederum verbanden mitunter Leopardenfellmusterjacken mit bauchfreien T-Shirts, den Crop Tops. Hässlich also wurde zum neuen Schön.
Dass Mode bestehende Schönheitsideale hinterfragt und dekonstruiert, ist selbstverständlich kein neues Phänomen. Gute Mode war immer mehr als das Abbild gesellschaftlicher Vorlieben. Sie war eine Art ästhetischer Testparcours: Das, was allgemein als schön galt, durfte auseinandermontiert und neu zusammengesetzt werden. Ein Beispiel für eine Ästhetik jenseits bestehender Kategorien war die in den Siebzigerjahren von David Bowie erschaffene Kunstfigur Ziggy Stardust. Sie war ein androgynes Wesen aus dem All, rote Mähne, blasser Teint, bunte, eng anliegende Ganzkörperanzüge. Bowie sagte, er habe sich bei der Schaffung von Ziggy vom Philosophen George Steiner beeinflussen lassen, der in seinem Buch In Bluebeard's Castle den Begriff der " Post-Culture" einführt. In den frühen Siebzigerjahren, so Bowie später, habe nun das allgemeine Gefühl geherrscht, "dass es keine 'Wahrheit' mehr gebe". Das schließt per definitionem ein, dass es auch nicht mehr das wahrhaftig Schöne gab. Bowie experimentierte mit Geschlechterstereotypen, er vermischte sie, verkehrte sie, um in dieser Androgynität eine neue Vorstellung von Schönheit zu entwickeln.
Die Ugly Fashion der Zehnerjahre unseres Jahrhunderts aber ging über Ziggy Stardust hinaus. Miuccia Prada, Chefin der gleichnamigen Luxusmarke und selbst Pionierin des Ugly Chic, nannte Schönheit 2013 eine "bourgeoise Idee". Für Prada war Schönheit also nichts Wandelbares mehr, sie war reines Konstrukt.