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Review

Zwischen Licht und Schatten: Neues Album von The Range

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„Im Moment habe ich keinen Plan für den Fall, dass ich es nicht schaffe, aber selbst wenn, habe ich beschlossen, mit etwas Größerem und Besserem weiterzumachen.“ Aus dem Opener-Track des letzten The-Range-Albums Potential spricht die verzweifelte Entschlossenheit des Youtubers SDotStar, es immer wieder zu versuchen – bis der Plattenvertrag unterschrieben ist. 2016 deklinierte James Hinton alias The Range dieses Narrativ vielschichtig und eindrücklich mit Samples aufstrebender Künstler:innen durch, die er im Internet gefunden hatte.
Mit dem Grundgefühl der Platte bildete er aber wohl auch ein wenig seine eigenen Selbstzweifel ab, wie sich nach der Veröffentlichung zeigen sollte. Denn die sechs Jahre, sie seitdem vergangen sind, waren weniger eine Auszeit, sondern eher eine persönliche und kreative Krise – ausgelöst durch Hintons Umzug vom New Yorker Stadtteil Brooklyn in eine Kleinstadt im Bundesstaat Vermont. Auf dem neuen Album Mercury verarbeitet er diese etwas undurchdachte Aktion mit Tracks wie 1995.

„Ich hatte sicherlich nicht alle Konsequenzen bedacht, die ein im Grunde hermetischer Lebensstil mit sich bringt. Ich bin hierher gezogen, indem ich einen Dartpfeil auf eine Karte geworfen habe. Ich mochte die Gegend, aber ich wollte im Grunde einfach keine Freund:innen haben. Aber ja, wenn man zwei Monate lang niemanden sieht, dann wird man verrückt.“

Zuerst wirkte alles sehr logisch, der Umzug wie ein wichtiger Schritt, weil Hinton in New York City weder Platz noch genügend Geld zum Aufbau eines Studios hatte. Die langfristigen Auswirkungen seiner 180-Grad-Wendung zu einem Leben auf dem Land, ohne bekannte Gesichter, ohne Freund:innen, war für ihn dann letztendlich aber doch eine Spur zu abrupt.

„Ich bin wirklich durchgedreht. Es war eine Herausforderung. Ich hatte mit Depressionen zu kämpfen. Und ich glaube, das war ein schwerer Schlag, den ich einfach nicht erwartet hatte. Du wirst zu einem anderen Menschen, wenn du dich in diesem Zustand und diesem sich selbst erhaltenden, negativen Kreislauf befindest. Das war beängstigend.“

Mäandernde, düstere Triphop-Tracks wechseln sich auf Mercury mit tanzbaren, von Deep House inspirierten Tracks ab. Die Wandelbarkeit der Platte ist ihre größte Stärke. Am Anfang jedes Tracks steht dabei ein Gesangssample, nach dem The Range in minutiöser Recherche auf verschiedenen Plattformen wie Youtube, Instagram oder Periscope sucht. Darauf basierend entwickelt er dann Beats, Bassläufe und Melodien. Mit dieser Produktionsweise öffnet The Range auf dem neuen Album weite Klangräume, in denen sich der Mix aus Gesangssamples und Versatzstücken aus Triphop, Grime, Deep House, Trance und weiteren Genres ausbreiten kann.
Auf seinem neuen Album schafft es der Musiker, seine jeweiligen Gefühlswelten der letzten sechs Jahre zugänglich und hörbar zu machen. Die Tracks Urethane und Not For Me entstanden in einem Zustand der sozialen Isolation. Der Wunsch und das gleichzeitige Unvermögen zu zwischenmenschlichen Verbindungen klingen hier deutlich durch. James Hintons wichtigste Erkenntnis aus dieser Zeit: Negative Kreisläufe enden, Gefühlszustände sind temporär und nicht permanent. Zwischen den düsteren, introvertierten Tracks auf Mercury gibt es deshalb klanglich immer wieder deutliche Lichtblicke.

„Es gab Momente, die sehr, sehr herausfordernd waren, und es gibt Momente, zu denen ich nicht zurückkehren möchte. Aber ich denke, es nie so dunkel oder so hell ist, wie man vielleicht denkt.“

Licht und Schatten – diese Gegensätze prägten nicht nur die letzten Jahre von The Range, sondern auch dieses Album. Und damit schließt sich auch der Kreis von Mercury zum vorigen Album: James Hinton hat die Tiefen hinter sich und macht mit etwas Größerem weiter.

(09.06.2022, Tonart, Deutschlandfunk Kultur)