Stattdessen versucht das kanadische Septett, jene Art von Folkpop mit in seine Musik zu schleusen, die momentan gefühlten 80 Prozent der Bands im Rockpop-Genre einen gewissen Indie-Appeal verleiht. Manche der Songs auf „Second Sight" wirken dadurch ziemlich harmlos und beliebig, „Gold Teeth" und „Dream" sparen beispielsweise nicht mit „Oh oh oh oh" und Gitarrengeplucker. Als Hörer fühlt man sich von derartigen Mitsing-Imperativen mittlerweile wenig ernstgenommen, abgesehen davon klingt es auch einfach abgedroschen.
Dann aber dreht „Neon Beyond" auf halbem Weg durch das Album plötzlich richtig auf und wirft die Harmlosigkeit ab. Mit „Kintsukuroi" schließt sich die erste Singleauskopplung an, die schon nach wenigen Takten unweigerlich als bester, weil einprägsamster und treibendster Song des Album erkennbar ist. Direkt aus dem Indie-Pop-Satzbaukasten entschlüpft ist sie zwar maximal vorhersehbar, aber gerade deshalb umso catchier.
Die von Experimentieren und Positivität geprägte Atmosphäre im Aufnahmeprozess, von der Sänger und Songwriter Tim Baker berichtet, hört man aus den Stücken nur bedingt heraus. Sie klingen zwar durchaus optimistisch, nur keinesfalls nach großer Neuerfindung. Die ist aber auch nicht immer nötig, man manövriert hier eben auf gewohnten Bahnen durch die Trias aus Rock, Pop und Pathos. „Think of all I've intended, not what I've done", singt Tim Baker im vorletzten Song „Harriet" und bringt das Problem damit ungewollt auf den Punkt. Die Intention war wohl, mit der Zeit zu gehen, also elektronischer zu werden, aber ein Teil des Albums ist dabei etwas in der Beliebigkeit steckengeblieben. Wer von Coldplay- und U2-Vergleichen nicht sowieso schon abgeschreckt wurde, sollte Hey Rosetta!s Rock-Pop-Folk aber ruhig eine Chance geben, denn der Albumtitel deutet es schon an: Die Songs auf „Second Sight" werden mit jedem Durchlauf besser.