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Sachsen-Anhalt: Mit dem Rad unterwegs auf Himmelswegen

Am Unstrut-Radweg mit Blick auf Laucha

Sachsen-Anhalt : Mit dem Rad unterwegs auf Himmelswegen

Entlang von Elbe, Saale und Unstrut lernt man in Sachsen-Anhalt die Bronzezeit kennen - eine archäologische Reise mit dem Rad durch Ostdeutschland.

Windräder, Getreide, Mais und wieder Windräder, bis an den Horizont. Die Magdeburger Börde ist ein fruchtbarer Landstrich, gesprenkelt mit Namen, die aus einem Fantasy-Roman stammen könnten: Ovelgünne, Dreileben-Drakenstedt, Magdeburg. Die einzige Landeshauptstadt ohne ICE-Anbindung empfängt die Besucher mit dem gelassenen Charme eines Provinzbahnhofs. Erst der Dom vermittelt eine Ahnung davon, dass hier im Mittelalter ein europäisches Zentrum lag. Aber schon in der Bronzezeit, also vor 4000 Jahren, kreuzten sich an diesem Ort Wege, die bis in den Orient reichten.

Die 285 Kilometer lange Radtour entlang von Elbe, Saale und Unstrut führt in eine Epoche, die keine Schriften, kein Weltbild und keine religiösen Botschaften hinterlassen hat, sondern nur Pfostenlöcher, Horte mit Beilen und Schmuck sowie monumentale Fürstengräber. Archäologen förderten hier Bahnbrechendes zutage - wie das Ringheiligtum Pömmelte und die Himmelsscheibe von Nebra. Funde, die zeigen, dass unsere Vorfahren bereits die Gestirne lesen konnten.

Himmelswege-Radtour

Anfahrt Von Düsseldorf aus gibt es eine ICE-Verbindung nach Hannover und von dort IC-Züge und Regionalbahnen nach Magdeburg. Die Bahnfahrt dauert etwa viereinhalb Stunden. Einen Fahrradplatz sollte man möglichst frühzeitig buchen. Mit dem Auto sind es auf der A2 420 Kilometer nach Magdeburg.

Übernachten Unterwegs gibt es zahlreiche fahrradfreundliche Hotels, wie zum Beispiel die Weltrad Manufactur in Schönebeck, eine traditionsreiche Fahrradschmiede, das Hotel Gasthof zur Henne in Naumburg, eine ehemalige Brauerei mit Fahrradmuseum, oder das Schlosshotel in Nebra.

Weitere Informationen Für die Radtour gibt es diverse Radwanderkarten, unter anderem die Radtourenbücher „Saale-Radweg" und „Unstrut-Radweg" von Bikeline. Entlang der Strecke verläuft eine Bahnlinie, sodass man Teile der Route auch im Regionalzug zurücklegen kann.

Auf den Himmelswegen, wie das Tourismusamt die Routen zu diesen Sehenswürdigkeiten poetisch nennt, startet man in die astronomische Frühgeschichte. Von Magdeburg aus rollt der Radtourist durch das labyrinthisch verzweigte Urstromtal der Elbe. Bei Schönebeck, dem ersten Sole-Kurort Deutschlands, geht es über eine alte DDR-Brücke nach Pömmelte: Sieben konzentrische Ringe aus Gräben, Wällen, Palisadenzäunen und bunt bemalten Torbögen, die an einen Esoteriker-Treff oder ein rätselhaftes Land-Art-Projekt erinnern.

Auf dem Parkplatz rangiert ein halbes Dutzend Autos hin und her. Waldemar Liedicke kommt mit dem Fahrrad. Der Gästeführer, mit grauen Haaren und kantigem Gesicht, ist Rentner und erklärt Touristen die Geschichte des Heiligtums, das so alt ist wie Stonehenge. Als Erstes klappt er schmunzelnd einen Zollstock aus. „Wenn das ein Zeitstrahl mit der Menschheitsgeschichte ist, sind wir heute vom Zeitpunkt, an dem das Ringheiligtum entstand, drei Zentimeter entfernt. Wir sind nur Steinzeitmenschen, die Auto fahren." Unsere Ahnen nutzten das Rund mit einem Durchmesser von 115 Metern für die Mitteljahresfeste. Es waren wohl dunkle Feiern mit viel Blut, Feuer und Lärm.

Für die Strecke nach Halle wechselt man von der Elbe auf den bequemen Asphalt des kurz nach der Wiedervereinigung eingerichteten Saale-Radwegs. Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle beherbergt einen Schatz, der aufgrund seiner historischen Bedeutung mit der Mona Lisa verglichen. Die Himmelsscheibe von Nebra ist die älteste Darstellung von konkreten Himmelsphänomenen. Allein die Entdeckungsgeschichte liest sich wie ein Krimi. Raubgräber buddelten das Prachtstück in der Nähe von Nebra aus. Heute glänzt es pizzagroß hinter dickem Panzerglas.

Einen Tag später hat es das angekündigte Tiefdruckgebiet über den Harz geschafft. Die Frau an der Hotelrezeption im Bilderbuchstädtchen Naumburg schaut die Gäste in Radmontur mitleidig an. „An mir liegt es nicht, ich esse immer auf." Wer bei diesem Wetter unterwegs ist, hat die Radstrecke, die an der Unstrut verläuft, für sich allein. Ein kleiner Fluss, von dessen Tal aus Rebstöcke schnurgerade Linien über die Steilhänge ziehen. Sie bilden das nördlichste Wein­anbaugebiet Deutschlands.

Vor Nebra öffnet sich das Tal. Die Stadt, die der weltberühmten Himmelscheibe ihren Namen gab, ist wenig einladend. Viel Leerstand, die Häuser sind wegen mangelnder Zuwendung ergraut. Etwas flussaufwärts liegt das Besucherzentrum „Arche Nebra" wie ein gerade gelandetes Ufo. Im Bauch der Arche leistet die Historikerin Manuela Werner Vermittlungsarbeit. „Wir sind ein Schaufenster für die Archäologie und für die bunten, lustigen Geschichten zuständig", erklärt Werner, blonder Kurzhaarschnitt, blaue Augen und Nebra-grüner Kurzarmpullover lächelnd. Die Idee für das Projekt kam auf, nachdem immer öfter Touristen am Fundort der Himmelscheibe nach Spuren suchten. „Die standen im Naturpark, fanden dort aber nichts vor, was eine touristische Qualität oder einen Aufenthaltswert hatte."

Der Himmelsweg verlässt das Unstruttal und führt durch Dörfer mit mittelalterlichen Steinkirchen und eine große Stille. Idylle und kaum Touristen. Nach zwei Tagen lugen die Außenbezirke von Halle hinter dem Grün hervor. Man ist wieder im Hier und Jetzt, weit weg von den Bronzezeitmenschen, die irgendwann aus unbekannten Gründen die Himmelscheibe mit Schmuck, Beilen und Schwertern so würdevoll wie einen Fürsten begraben haben.

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