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Ätherische Öle: Viel mehr als Duft

Ursprünglich dienen sie Pflanzen zum Schutz, doch auch uns können ätherische Öle helfen. Manche wirken auf Krebszellen, andere übertreffen sogarAntibiotika. Und das ist noch nicht alles. // Astrid Wahrenberg

Wir kennen sie mit ihren betörenden Düften in Kosmetik und Parfüm. Ätherische Öle wie die von Lavendel, Zitrone oder Sandelholzkönnen aber noch viel mehr als gut riechen. Sie helfen bei Stress, Schlafstörungen und Depressionen, wirken gegen Entzündungen, stärken das Immunsystem und lindern Schmerzen. Hunderte von Studien belegen das.

Erst jüngst zeigten iranische Wissenschaftler, dass Duftstoffe auch Frauen in den Wechseljahren helfen können. Sie setzten 100 Frauen zwischen 45 und 55 Jahren zwei Wochen lang zwei Mal täglich rund 20 Minuten dem Duft ätherischen Lavendelöls oder dem Geruch verdünnter Milch aus. Die Studie, an der mehrere Kliniken beteiligt waren, erfüllt strenge Kriterien: Weder Arzt noch Patientin wussten, welche Substanz verwendet wurde. Das Ergebnis: Frauen, die Lavendelduft geschnuppert hatten, litten im Studienzeitraum deutlich weniger an Hitzewallungen.

Ähnlich wie Valium

Manche Duftstoffe können auch bestimmte Rezeptoren von Nervenzellen im Gehirn aktivieren, die eine beruhigende Wirkung auslösen. „Gardenia-Acetal aus der Gardeniablüte hat beispielsweise eine einschläfernde und angstlösende Wirkung und der Wirkmechanismus ist ähnlich wie bei Valium", berichtet der renommierte Duftforscher Hanns Hatt vom Lehrstuhl für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum. Faszinierend ist auch, dass ätherische Öle Krebszellen beeinflussen können. Studien haben gezeigt, dass Zitrusduft das Wachstum von Leberkrebszellen hemmen, Veilchenduft Prostatakrebszellen an der Teilung hindern oder Ligusterduft bei Darmkrebs helfen kann.

Riechzellen sitzen nämlich nicht nur in der Nase, sondern in vielen weiteren Geweben, etwa im Herzen, den Bronchien und der Haut. „Unsere Haut hat mehr als 20 verschiedene Riechrezeptoren", sagt Hatt. Der Rezeptorfür Sandelholzduft etwa könne das Wachstum von Hautzellen ankurbeln und damit die Regeneration verbessern, aber auch die Wundheilung beschleunigen.

Aus für schädliche Keime

Weshalb produzieren Pflanzen eigentlich ätherische Öle? Sie locken damit Insekten an, vertreiben gefräßige Raupen und Käfer oder bekämpfen Pilze und Bakterien. Deshalb lassen sich manche wie Desinfektionsmittel nutzen. Teebaum- und Eukalyptusöl beispielsweise wirken gegen den multiresistenten Krankenhauskeim MRSA.

Manche ätherische Öle habenAntibiotika sogar einiges voraus. Studien mit Zellkulturen zeigen, dass sie Biofilme angreifen können. Das sind mikrobielle Lebensgemeinschaften, wie sie etwa im Zahnbelag sitzen oder sich an Wund­rändern bilden. Die Medizin fürchtet sie, weil ihnen Antibiotika kaum etwas anhaben können. Ätherische Öle hingegen können den Mikrobenfilm schwächen oder sogar zerstören, sodass Medikamente besser wirken.

Ohne Resistenzgefahr

Einige Zahnärzte verordnen Patienten mit Parodontitis Mundspülungen mit ätherischen Ölen, die individuell für sie ausgesucht wurden. Dafür bestimmt ein Labor zunächst die Mundkeime des Patienten mit einem sogenannten Aromatogramm. Dann kann der Zahnarzt gezielt jene Öle wählen, die gegen diese speziellen Keime wirken. Weiterer Vorteil der natürlichen Duftstoffe: Schädliche Erreger und Keime entwickeln keine Resistenzen gegen sie, so wie sie es bei Antibiotika oft tun. Das liegt unter anderem an der vielfältigen Zusammensetzung der pflanzlichen Stoffgemische, die je nach Witterung, Boden und Region variiert.

Was ist Aromapflege?

Wer mit ätherischen Ölen heilen oder therapieren will, muss Arzt oder Heilpraktiker sein (siehe Interview). In naturheilkundlich orientierten Kliniken kommt Aromatherapie oft als ergänzendes Heilverfahren zum Einsatz, etwa bei der Wundheilung oder der Hautpflege nach Chemotherapie.

Weiter verbreitet ist die sogenannte Aromapflege, die speziell geschulte Pfleger in Absprache mit dem Arzt einsetzen dürfen. Damit sind etwa Raumdüfte auf Stationen gemeint, Hautpflege mit Cremes sowie Waschungen, Bäder, Wickel und wohltuende Massagen. Sie helfen auch den Pflegenden mit ihrem Wohlgeruch, wenn sie etwa einen Wundverband wechseln.

Gut für Haut und Seele

Auch Naturkosmetik nutzt naturreine ätherische Öle nicht nur, damit Creme und Duschgel herrlich riechen. Ihre Parfümeure sind ebenfalls Duftexperten, deren Wissen in die Rezepturen mit einfließt. Primavera zum Beispiel setzt in den Produkten der Entspannungsserie auf Lavendel und Vanille, die in der Aromatherapie wegen ihrer beruhigenden Wirkung geschätzt sind.

Die Natur Duft Manufaktur Taoasis nutzt ätherisches PfefferminzölimRoll-on für einen klaren Kopf, denn es ist für seine lindernde Wirkung bei Kopfschmerz bekannt.

Im Yoga-Massageöl von Farfalla verströmen sonnige, sinnliche und einhüllende Aromen ihren Duft. Es enthält unter anderem Vanille, Mandarine und Neroli, das ätherische Öl der Bitter-orange. Orangendüfte sind in der Aromatherapie erste Wahl, wenn es um Entspannung und eine stimmungsaufhellende Wirkung geht. Die ätherischen Öle von Salbei sind in Anti-Pickel-Produkten und natürlichen Deos beliebt, weil sie eine übermäßige Talgproduktion reduzieren und geruchsbildende Bakterien hemmen. Rosenöl in mancher Creme wirkt ausgleichend und regenerierend, Immortelle aufbauend und stärkend. Der Beispiele gibt es noch viele mehr. Naturkosmetik tut also nicht nur der Haut, sondern auch der Seele gut.

Mit naturreinen ätherischen Ölen lassen sich übrigens auch Speisen würzen und verfeinern. Ein Tropfen Orangenöl in der Vinaigrette sorgt für eine fruchtige Note, ein Tropfen Rosenöl im Vanillepudding veredelt das Dessert.

Info: Auf Qualität achten

Billigöle unbekannter Herkunft können synthetische Inhaltsstoffe enthalten, die unter Umständen nicht oder unerwünscht wirken. Daran erkennen Sie naturreines ätherisches Öl:

Auf dem Etikett sollte der botanische Name der Pflanze stehen. Achtung: Innerhalb einer Pflanzenfamilie gibt es oftmals mehrere Vertreter, deren Inhaltsstoffe sich unterscheiden können, wie bei Eukalyptus radiata und Eucalyptus citriodora.Also auf den vollen Pflanzennamen achten.

Seriöse Hersteller schreiben die Methode, mit der das Öl gewonnen wurde, aufs Etikett, außerdem den Pflanzenteil, die Qualität wie „kontrolliert-biologischer Anbau", das Herkunftsland, die Chargennummer und die Verwendungsdauer nach dem Öffnen. Achten Sie auf einen kindersicheren Originalverschluss.

Das gleiche Öl kann übrigens je nach Verwendungszweck unterschiedlich deklariert sein:

Als Bedarfsmittel zur Anwendung für die Raumbeduftung; als Kosmetikum zur Anwendung in Hautpflegeprodukten, Öleinreibungen oder als Badezusatz; als Lebensmittel zur Aromatisierung von Speisen und als Medizinprodukt, was eine umfangreiche Zulassung erfordert.

„Naturstoffe können viel, sind aber zu wenig beachtet"

Eliane Zimmermann, Expertin für Aromatherapie, erklärt, wo ätherische Öle helfen können und wo ihre Verwendung an Grenzen stößt. // Astrid Wahrenberg Mit welchen Fragen wenden sich Patienten an Sie?

Viele wollen wissen, was gegen Schmerzen oder Hautkrankheiten hilft. Oft werde ich auch gefragt, was bei Befall mit resistenten Keimen unternommen werden kann. Die Chancen, mit ätherischen Ölen zu helfen, stehen sehr gut, es gibt noch keine Resistenzen gegen unverfälschte ätherische Öle.

Wie sieht eine Behandlung aus?

Nach dem Patientengespräch arbeite ich meistens mit einer sanften Aroma-Massage, um eine wohltuende Entspannung einzuleiten. Ich empfehle oft einige Öle für zu Hause, gebe Ratschläge zur Ernährung und zu ergänzenden Vitalstoffen.

Wo stößt die Aromatherapie an Grenzen?

Grenzen spüren Aromatherapeuten vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung. Vielen Laien ist nicht bewusst, dass wir mit pharmakologisch gut untersuchten Molekülen arbeiten. Jeden Tag erscheinen dazu seriöse internationale Studien. Weil sich Naturstoffe nicht patentieren lassen, finden sie leider kaum Beachtung.

Und wo sind die therapeutischen Grenzen?

Lebensbedrohliche Zustände und schwere Krankheiten sind tabu. Mit Aromatherapie möchten wir Menschen mit chronischen und belastenden Erkrankungen zu mehr Wohlbefinden und Lebensqualität verhelfen. In der Palliativpflege sind Aromatherapeuten beispielsweise gefragte Spezialisten.

Wer darf sich Aromatherapeut nennen?

Jeder. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Aber therapieren dürfen nur Ärzte und Heilpraktiker. Als Abgrenzung verwende ich seit mehr als 20 Jahren die Bezeichnungen Aromapraktikerin und Aromapraxis, gebräuchlich sind auch Aromapflege und Aromaexperte. Leider bezeichnen sich manche Menschen schon nach einem Wochenendkurs als „AromatherapeutInnen". Bei Ebay gibt's sogar Zertifikate zu kaufen.

Was kann passieren, wenn ätherische Öle nicht sachgemäß angewendet werden?

Nicht sachgemäß sind unverdünnte ätherische Öle auf der Haut, auf offenen Wunden oder zu hohe Dosierungen. Grundsätzlich riskant ist die Einnahme. Ein Tropfen ätherisches Öl kann je nach Pflanze einen Eimer oder gar eine Schubkarre voller Heilkraut enthalten. Darum können manche Öle die Haut reizen oder Atemnot auslösen. Korrekt angewendet sind Nebenwirkungen jedoch selten. Je nach Duft verdünnt man ein- bis dreiprozentig in einem Trägeröl, zum Beispiel 3 bis 4 Tropfen ätherisches Lavendelöl in 10 Milliliter Mandel- oder Olivenöl.

Gibt es Menschen, die ätherische Öle gar nicht vertragen?

In meiner langjährigen Arbeit mit hochwertigen Bio-Ölen hatte ich noch nie einen negativen Vorfall. Generell sollten Schwangere in den ersten drei Monaten vorsichtig mit stark anregenden Ölen sein. Auch bei Menschen, die Medikamente einnehmen, gibt es Regeln zu beachten. Für Babys und Kleinkinder können einige ätherische Öle gefährlich werden, etwa Pfefferminzöl zu nah an der Nase oder Wintergrünöl, dessen Haupt-Inhaltsstoff Methylsalicylat ihr Organismus nicht verstoffwechseln kann. Im Internet finden sich leider viele Rezepte, die ich für grob fahrlässig halte. Die Verträglichkeit hängt entscheidend auch von der Ölqualität ab.

Welche Öle verwenden Aromatherapeuten?

Ausschließlich naturreine ätherische Öle, möglichst in Bio-Qualität und mit anerkannter Zertifizierung, wie es sie in Fachgeschäften für Naturkosmetik gibt.

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