Es ist eine Wette, bei der sich Klaus Emler ziemlich wohlfühlt. Er lehnt sich zurück und umschreibt mit ausschweifenden Gesten das, was in zwei Jahren Realität werden soll. Kritische Fragen lächelt er mit dem Verweis auf „deutschen Pessimismus" hinweg. Emler ist einer der Geschäftsführer des Mittelständlers Sortimo und wettet auf den Siegeszug der Elektromobilität. 15 Millionen Euro investiert er in die Infrastruktur direkt vor seinem Firmensitz in Zusmarshausen, einer Kleinstadt zwischen Augsburg und Ulm. Doch der 54-Jährige baut nicht irgendeine Elektro-Ladestation, sondern gleich die größte E-Tankstelle der Welt.
Die größte Strom-Tankstelle der Welt hat 144 Ladesäulen4000 Fahrzeuge sollen hier täglich geladen werden können. 144 Ladesäulen stellt Mittelständler Emler Autofahrern dafür zur Verfügung. 24 davon sogar als Supraschnelllader mit einer Leistung von 350 Kilowatt. Damit sollen die dafür ausgelegten Autobatterien in nur wenigen Minuten wieder aufgeladen sein.
Dort wo heute auf der Wiese Gräser blühen, soll schon Ende nächsten Jahres auf halber Strecke von Stuttgart nach München, an einer Ausfahrt der Autobahn A 8, der Sortimo Innovationspark entstehen. Zunächst ein, später drei Gebäude mit futuristischen Schwingungen, viel Glas und Holz sollen dann das einläuten, was die deutsche Autobranche Emlers Meinung nach bislang verpasst hat: eine Aufbruchsstimmung für die Elektromobilität.
Das Konzept der bisherigen Tankstelle wird auf den Kopf gestelltZumindest könnte Emler damit aber das Konzept von Tankstellen im Zeitalter der Elektromobilität gewaltig auf den Kopf stellen. Bislang produziert Sortimo mit weltweit 1200 Mitarbeitern Boxen oder Koffer für Autohersteller - seit Kurzem auch Lastenfahrräder mit Elektroantrieb. Auch Nutzfahrzeuge, etwa für Schornsteinfeger, rüstet das Unternehmen aus. Weil sich die Industrie zunehmend mit Elektrotransportern beschäftigt, lag es Emler zufolge nahe, unweit der Betriebszentrale eine Elektrotankstelle für Testfahrten einzurichten.
Aus der Ladestation wurde die Idee für die größte Strom-Tankstelle der Welt. Der Innovationspark soll ein Versuchslabor dafür sein, was Autofahrer tun können, wenn sie ihre Fahrt auf der Autobahn für eine längere Pause unterbrechen müssen - davon ist im Moment auszugehen, wenn das Elektroauto nach etwa 300 Kilometern Fahrt geladen werden muss. Zwei Stunden beziehen Fahrzeuge dann an öffentlichen Ladesäulen Energie. Selbst mit 50-Kilowatt-Schnellladern dauert es heute mindestens 30 Minuten, bis Batterien zu 80 Prozent geladen sind.
Die Autofahrer sollen einkaufen, chic essen oder Fitness treibenStatt sich die Beine in den Bauch zu stehen, sollen Autofahrer die Zeit sinnvoll nutzen können: einkaufen, chic essen, sich mit Kollegen zum Geschäftstermin treffen oder im Fitness-Studio Gewichte stemmen - das alles oder auch ganz anderes möchte die größte Strom-Tankstelle der Welt dem Kunden bieten. „Welches Konzept sich am Ende durchsetzt, entscheidet die Nachfrage", sagt Emler. Sein Unternehmen liefere dafür die Plattform.
Tankstellen als Zentren für Freizeit und Arbeit - Frank Höfler findet diesen Gedanken alles andere als abwegig. Der Mobilitätsexperte von der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg hat im Auftrag der mittelständischen Tankstellen untersucht, wie sich Tankstellenbetreiber in Zukunft neu aufstellen müssen, wenn Autos Strom statt Sprit tanken. Sein Ergebnis: Mit Ladestationen allein werden die Betreiber die Kunden nicht zufriedenstellen. „Durch die längeren Ladezeiten der Elektroautos werden sich die Kunden in Zukunft noch deutlich länger an Tankstellen aufhalten", prognostiziert der Ökonom.
Zusatzgeschäfte, wie sie schon heute an Autobahnraststätten in Form von Schnellimbissrestaurants zu finden seien, gewännen dann weiter an Bedeutung. Für Autofahrer wird aus Tanken zweierlei: Aufladen und Kino - oder Aufladen und Arbeiten.
Werden die Autofahrer längere Zwangspausen goutieren?Ob Kunden das Konzept für die größte Strom-Tankstelle der Welt allerdings annehmen, bleibt fraglich. Für Manfred Wacker von der Universität Stuttgart sind die Serviceangebote nichts weiter als „Krücken" für eine unausgereifte Technologie. „Wenn Menschen für ein Wochenende an die Ostsee fahren, wollen sie keine Zwangspausen für lange Mittagessen oder Kinogänge einlegen. Sie wollen von A nach B fahren, und das so schnell wie möglich", sagt Wacker. Er glaubt nicht, dass Konsumenten ihre Lebensgewohnheiten verändern und lieb gewonnene Ansprüche zurücksetzen.
„Ich sehe nicht, dass Elektrofahrzeuge mit der heutigen Reichweite sich im Fernverkehr gegenüber den Verbrennungsmotoren durchsetzen werden", sagt der Wissenschaftler. Folgerichtig bliebe dann die Nachfrage nach Ladestationen an Autobahnen gering. Kino und das vermietbare Büro wären unrentabel.
Bisher wollen wenige Investoren in E-Tankstellen einsteigenGenau das ist auch das bisherige Problem, warum nur wenige Investoren Geld ins teure Ladenetz pumpen wollen. Nur 34 000 Autos fahren auf deutschen Straßen mit einem reinen Elektroantrieb. Die meisten davon schwirren in Städten herum, wo die Entfernungen kurz und das Ladenetz relativ dicht ist. Auf Autobahnen sieht man die Batterieflitzer bislang kaum. „Damit Autofahrer eine Reise durch Deutschland wagen können, brauchen wir an jeder Hauptverkehrsachse Schnelllader, also alle 30 bis 50 Autobahnkilometer", sagt Experte Höfler.
Der Aufschwung kommt langsam: Ein Gemeinschaftsunternehmen der Autobauer BMW, Daimler, VW sowie Ford will eine öffentliche Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in mehreren EU-Staaten schaffen. Entlang der großen Verkehrsachsen sollen bis 2020 mehrere Tausend Stationen stehen. Einen Schritt weiter ist der Elektropionier Tesla, der bis Jahresende die Zahl seiner Supercharger-Schnellladeplätze von aktuell 5400 auf mehr als 10 000 weltweit erhöhen will.
Aber auch der Energieversorger EnBW rüstet auf und installiert nach eigenen Angaben noch in diesem Jahr 117 neue Ladesäulen an 85 Autobahnstandorten.Für die Bundesregierung könnte der Ausbau der Ladeinfrastruktur nicht schnell genug gehen, hängt doch davon auch ab, wie viele E-Autos verkauft werden. 300 Millionen Euro stellt sie für neue Ladesäulen zur Verfügung. Das ist die Wette, die Klaus Emler mit seinem Innovationspark eingeht: Fünf Jahre möchte er auf die Gewinne durch stromhungrige Autofahrer warten. Bis dahin soll die größte Stromtankstelle der Welt aber als teure Kantine für Werksmitarbeiter genutzt werden.