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Was tun?: Wenn das Tattoo länger hält als die Liebe

Vor nicht allzu langer Zeit sprach ich mit einem Freund aus Berlin bei einem Bier über Tätowierungen. Eines seiner Bilder haute mich vom Hocker: Er erzählte mir von einem Gedicht, das er sich in der Beziehung mit seiner damaligen Freundin auf Schlüsselbein und Oberarm hatte tätowieren lassen - einige Zeilen aus „This is just to say" von William Carlos Williams. Es wirkt, als wäre es ein abgerissenes Zettelchen, das am Morgen auf dem Küchentisch liegt. Die Worte sind alltäglich, fast banal und doch voller Zärtlichkeit. Mein Freund hat sich die Vertrautheit, die er mit der damaligen Freundin leben wollte, auf den Körper schreiben lassen. In ihrer Handschrift. Er ist nicht der erste Mensch und wird nicht der letzte sein, der sich ein Liebes-Tattoo stechen ließ. Aber wie kann man sich sicher sein, den anderen so zu lieben, dass man ihn auf seinem Körper verewigen will?

Liebes-Tattoos sind so alt wie die Menschheit selbst. Einige indigene Völker trugen sie auf ihren Körpern, um eine tiefe Verbindung zu ihren Göttern oder Partnern zu demonstrieren. Von der Steinzeit bis zur Digitalisierung: Manche Rituale ändern sich nicht. Auch in Westeuropa sind sie nicht unbekannt. Seeleute, Soldaten und Reisende trugen solche Bildchen aus Tinte. In den Weltkriegen zierten neben patriotischen Bildern auch Liebesschwüre die Haut amerikanischer Soldaten. Heute wie damals sind es Namen, Herzen, Symbole oder Zeilen. Sie begleiten die Liebenden bis zum Ende ihrer Tage.

Die tägliche Erinnerung an eine vergangene Zeit

Bei meinem Freund kam es - wie bei so vielen jungen Paaren - anders. Nach einigen Jahren war die Liebe verblichen. Was blieb, waren der Schmerz, das Tattoo und mit ihm die tägliche Erinnerung an eine vergangene Zeit. Versteinert wie vor meinem ersten Tattoo saß ich meinem Freund gegenüber. Der Gedanke, einen Menschen sein gesamtes Leben lang auf der Haut mitzutragen, macht mir Angst. Er ist ein Zugeständnis, das in unserer launischen und wechselhaften Generation Y bis Z so selten ist wie eine Hochzeit in den frühen Zwanzigern, nicht unmöglich, aber äußerst rar: Liebes-Tattoos symbolisieren den Wunsch, dass etwas bleibt, das wir nicht kontrollieren können. Sie schenken trügerische Sicherheit. Bei dem Gedanken, dass mich ein Tattoo tagtäglich an meine frühere Partnerin erinnern könnte, zucke ich zusammen: Wie kann man nur so verliebt sein? Oder fehlte mir einfach der Mut zu sagen: Dieser Partner oder diese Partnerin gehört zu mir?

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Immerhin ziert mein Handgelenk ein Freundschafts-Tattoo, ein „LIT" in Druckbuchstaben. Ich habe es mir damals mit drei Freunden während eines Roadtrips stechen lassen. Es war mein erstes Tattoo, an einer Seitengasse um zwei Uhr morgens in Hamburg gestochen. Ich erinnere mich genau daran, wie eine Freundin mir beim Stechen die Hand hielt: „Keine Sorge", sagte sie, „es wird nicht wehtun." Der Tätowierer führte die Nadel an meine Haut. Es schmerzte kurz, und nach einiger Zeit war sie da - die Verbindung fürs Leben.

Wir dachten, dass uns diese Freundschaft wie das Tattoo immer begleiten würde. Heute fühlt es sich eher an, als würde ich an einer Zeit festhalten, die kaum noch etwas mit mir zu tun hat. Heute streiche ich über diese Stelle und werde traurig, dass sich das Leben anders entwickelt hat. Ich versuche nachzuvollziehen, wie mein Freund sich mit seinem Tattoo fühlen muss.

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