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Ein Besuch in Silikon Valley

Es ist nichts mehr dabei, sich mit einer Freundin in der Tram über Bondage und Sextoys zu unterhalten - das aber beiläufig. Ganz anders auf der "Venus": Die Erotikmesse zeigt sich laut, plakativ, oft stereotyp. Warum sich ein Besuch trotzdem lohnt.

Dildo-Partys haben Tupper-Partys weitgehend verdrängt - und spätestens seit der Online-Sexshop Amorelie auf den Markt kam, sind Sexspielzeuge Teil des modernen Mainstreams geworden. Die "stilvollen Sextoys in edlem Design" sind inzwischen auch bei der Drogeriemarkt-Kette dm erhältlich. Erotik für den Alltag, eingepackt in mintgrüne Beutel, irgendwo neben elektrischen Zahnbürsten und Erkältungskapseln.

Lust ohne Erika

Wer mit der hell-freundlichen Amorelie-Welt vertraut ist und glaubt, diese auch auf der Venus Erotikmesse wiederzufinden, wird enttäuscht sein. Ernüchtert, vielleicht auch ein bisschen schockiert. Die Venus ist die 90er-Party der Erotikmessen. Der Trash-Faktor ist hoch.


Es gibt DVDs für 20 Euro, String-Tangas für einen Euro und kostenlose Autogramme von Darstellerinnen wie Mia Bitch. Bei aufgeklärten Bildungsbürgern gerade beliebte feministische Pornos wie die von Erika Lust findet man nicht. "Viele Besucher mögen den klassischen Porno", sagt der Venus-Pressesprecher Walter Hasenclever. Rund 70 Prozent der Messe-Gäste im Jahr 2016 waren Männer, unter den VIP-Besuchern laut Hasenclever fast ausschließlich.


Ein bisschen Bondage für alle

Überwiegend alte, männliche Kunden gaffen auf überwiegend junge, weibliche Darstellerinnen. Die einen tragen graue Haare und einen kleinen Bierbauch, die anderen lange Haare und viel Silikon-Brust. Natürlich nicht alle - aber das gängige Klischee lebt. Mit feministischen Sexfilmen könne die Mehrheit nichts anfangen, sagt der Pressesprecher.


Männer wollten auf der Messe vor allem Pornos und Live-Shows sehen, die Frauen lieber Sextoys ausprobieren. Tatsächlich sind an den Ständen mit Sexspielzeugen vor allem Frauen und Paare. Und auch in der Kinky Area, dem Fetisch-Bereich, ist das Geschlechterverhältnis ziemlich ausgeglichen. Könnte daran liegen, dass Bondage seit der Roman-Verfilmung "Fifty Shades of Grey" ein bisschen en vogue ist.


Erotik-Branche: Zurück in die Zukunft?

Die Website kündigt an, dass es bei der Messe auch um die Zukunft der Erotik geht. Auf der Venus selbst merkt man davon nicht viel. Ja, es gibt dort Stände mit Virtual-Reality-Brillen, mit denen User selbst Teil eines Pornos werden und Bewegungen und Blickwinkel intuitiv bestimmen können. Es gibt auch lebensgroße Silikonpuppen mit Sound-Chip, die anfangen zu stöhnen, sobald man ihre Brüste berührt - ohne Brüste auch in einer männlichen Variante.


Insgesamt präsentiert sich die Erotik-Industrie auf der Venus jedoch als Branche von Männern, für Männer - Frauen kommen vor. Primär als Lustobjekt. Die ungleich klischeehaften männlichen Pendants findet man auf der Messe auch - in der Ladies Area. In dem kleinen abgetrennten Bereich lassen sich ältere Frauen bei einem Glas Prosecco von jüngeren, enorm durchtrainierten Männern betanzen. Sehr körperbetont und sehr stereotyp. Chippendales-Style, wie auf einem klassischen Junggesellinnenabschied.


Soziologie der Venus

Trotz oder gerade wegen dieser Sammlung an Klischees ist ein Besuch auf der Venus aufschlussreich. Es ist ein Ort, an dem scheinbar die Zeit Anfang der 90er Jahre stehenblieb - während der Konsum von Pornos längst im digitalen Zeitalter angekommen ist. Machtverhältnisse, Schönheitsideale, Körper als reine Objekte - die Stereotype halten sich.


Gleichzeitig wirft ein Gang durch die Berliner Messehallen Fragen auf: Wie hat sich das erotische Frauenbild seit den Pin-Up-Girls der 50er Jahre bis zu heutigen Silikonpuppen verändert? Wie verändert das Internet die Art, wie Menschen Pornos sehen? Und wie unterscheiden sich überhaupt konventionelle von feministischen Sexfilmen?


Weniger Klischees als die Venus verspricht das Porn-Film-Festival. Ab dem 24. Oktober sollen in Berlin über 100 Filme gezeigt werden, die laut der Website "vor allem weiblich-feministische sowie queere Sichtweisen auf Fragen zu Sexualmoral, Identitäten, Körpernormen, Moralvorstellungen in aller Welt und künstlerisch-alternativem Umgang mit dem Genre Pornografie" bieten.


Vielleicht sollten die Macher der Venus am Funkturm mal mit denen des Porn-Film-Festivals sprechen. Über eine gemeinsame Konferenz, um ganz im Sinne der re:publica Raum für Diskussion und Austausch zu schaffen - zwischen Erotikfans, Darstellerinnen wie Mia Bitch, Drehbuchautorinnen wie Erika Lust und Wissenschaftlern wie Eva Illouz und Matthias Horx - und den Chippendales-Jungs natürlich.


Erschienen am 13.10.2017 auf rbb24