El Salvador hat als weltweit erstes Land die digitale Währung Bitcoin als legales Zahlungsmittel akzeptiert. Die Hoffnung: höheres Wirtschaftswachstum, das durch eine rein von marktwirtschaftlichen Kriterien abhängige Währung entstehen könne. In den Tagen nach der Verkündung gingen in der Hauptstadt San Salvador immer wieder Menschen gegen das Gesetz auf die Straße. Aus der Sicht vieler Demonstrierender kommt die Entscheidung reichen Investoren aus dem Ausland und der Elite des Landes zugute - hat jedoch wenig mit der Lebensrealität der armen Bevölkerung zu tun, die laut Daten der Weltbank rund 23 Prozent der Salvadorianer ausmachen. Lateinamerika-Forscher Christian Ambrosius kann den Unmut verstehen.
ZEIT ONLINE: Herr Ambrosius, inwiefern kann es wirtschaftlich Sinn ergeben für ein Land wie El Salvador, eine digitale Währung als offizielles Zahlungsmittel einzuführen?
Christian Ambrosius: Ich kenne keinen seriösen Wirtschaftswissenschaftler, der das positiv sieht. El Salvador hat seit 2001 den US-Dollar als offizielles Zahlungsmittel. Eine stabile Währung, die zwar unter fremder Kontrolle steht - doch auch über hat El Salvador keine Kontrolle. Eine geldpolitische Souveränität erreicht das Land damit also nicht. Und Bitcoin ist hochvolatil, was großes Risiko mit sich bringt. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass Nayib Bukele Bitcoin-Investoren anziehen will und um den Zufluss digitaler Währungen eine Wirtschaft aufbauen möchte. Letzten Endes ist es eine große Wette auf den steigenden Kurs des Bitcoins.
ZEIT ONLINE: Präsident Bukele hat Zustimmungsraten von mehr als 80 Prozent in der Bevölkerung. Besonders unter jüngeren, digitalaffinen Salvadorianern. 2016 wurde er bezichtigt, eine Gruppe von Hackern angeführt zu haben, die Zeitungen im Land digital angreifen wollten. Viele seiner Anhänger sehen sogar über den autokratischen Kurs hinweg, den er seit seiner Amtseinführung eingeschlagen hat. Ist das Bitcoin-Gesetz als Handreichung an genau diese Zielgruppe zu sehen?
Newsletter
Starten Sie mit unserem sehr kurzen Nachrichten-Newsletter in den Tag - von Montag bis Samstag.
Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis.
Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.
Ambrosius: Das ist schwer zu sagen. Wenn ja, geht es wohl nach hinten los. Ein Großteil der Salvadorianer lehnt das Gesetz entschieden ab. Vor allem, weil der Start sehr holprig war. Die sogenannte Chivo-App, die zum Bezahlen mit Bitcoin entwickelt wurde, funktionierte nicht einwandfrei. Als Startgeschenk hatte die Regierung jedem Bürger, der sich die App runterlädt, 30 Dollar versprochen. Allerdings in Bitcoin. Nach zwei Tagen war der Wert auf 28 Dollar gesunken, weil der Bitcoin-Kurs gefallen ist. Darüber waren die Menschen wütend. Gleichzeitig hat El Salvador mit der Verabschiedung des Bitcoin-Gesetzes mehrere Hundert Bitcoin gekauft. Der Kurs ist am selben Tag um rund 20 Prozent eingebrochen und hat das kleine Land eine Menge gekostet. Wenn das so weitergeht, denke ich eher, dass Bukeles Popularität darunter leiden wird. Sollte der Kurs aber bergauf gehen, könnte es ihm durchaus nützen. Es ist ein sehr riskantes Experiment.
ZEIT ONLINE: Die Regierung impliziert in ihrem Gesetzestext, dass Bitcoin als staatlich anerkanntes Zahlungsmittel für mehr finanzielle Inklusion von Bürgern sorgen könnte. Ist das denkbar?
Ambrosius: Ich halte das Argument für zynisch. Finanzielle Inklusion bedeutet nicht nur die Möglichkeit, praktisch bezahlen zu können, sondern zuallererst den Zugang zu sicheren Sparoptionen, fairen Krediten und Versicherungsprodukten. Alles, was dabei hilft, Vermögensaufbau zu sichern. Bitcoin ist ein unglaublich unsicheres Asset, in das eigentlich nur Menschen investieren, die ansonsten abgesichert sind. Die arme Bevölkerung hat solche Sicherheiten nicht. Und nun eine App mit Bitcoin-Zahlungsmöglichkeit finanzielle Inklusion zu nennen, finde ich schwierig. Zumal viele Menschen der App und Bitcoin misstrauen.
ZEIT ONLINE: Meinen Sie, dieses Misstrauen ist der Grund dafür, dass so viele Menschen demonstrieren?
Ambrosius: Das ist sicherlich ein Grund. Zudem sehen viele Menschen ein Problem darin, dass die Einführung als offizielle Währung grundsätzlich einen impliziten Zwang mit sich bringt. Bitcoin muss nun eigentlich als Zahlungsmittel überall akzeptiert werden. Bukele hingegen hat angekündigt, dass es diesen Zwang nicht geben soll, aber was ist denn sonst unter offizieller Währung zu verstehen? Er hat Fragen rund um Bitcoin kaum beantwortet - und wenn, haben er und andere Regierungsmitglieder sich auf Englisch geäußert. Damit ist klar, wer hier Ansprechpartner ist: die internationale Community und nicht das eigene Volk.