Hamburg. Das schrille Klingeln meines Weckers schreckt mich auf. Nach nur Bruchteilen von Sekunden lässt mich ein reißender Schmerz in den Armbeugen zusammenfahren. Ich bin gerade wach, und schon kreist mir nur ein einziger Gedanke durch den Kopf: "Wo ist meine Hautcreme?" Ich weiß: Nur mit ihr schaffe ich es, den Tag heute überhaupt ohne Schmerzen beginnen zu können.
Warum das kein Albtraumsszenario, sondern für mich tägliche Realität ist, lässt sich mit nur einem Wort beschreiben: Neurodermitis. Das ist eine verbreitete, in Schüben auftretende Hautkrankheit, die zu Entzündungen und Ekzemen der Haut führt. Sie wird vererbt und ist - zum Glück - nicht ansteckend. Doch für Betroffene heißt es: täglich die Haut eincremen und abwarten, bis der ganze Spuk vorbei ist. So wie für mich, denn ich bin eine Betroffene. Und das letzte Mal, als meine Krankheit so schlimm war, wie sie heute ist, war ich ein Kleinkind.
Wenn ich mir alte Kindergartenfotos von mir anschaue, muss ich oft schlucken. Denn meist sieht man unter dem langärmeligen Pullovern und Sweatshirts weiße Verbände hervorschauen. Teilweise sieht man bei Nahaufnahmen meines Gesichts unzählige Abschürfungen, die auch den Körper bedecken.
Dass ein Kleinkind nicht begreift, wieso die Mama auf einmal mit einer großen Tube mit "weißem Zeug" ankommt, welches sie gleich auf dem gesamten Körper verteilen möchte, ist auf der einen Seite verständlich. Doch es zeigt auch, welche Lücken es noch in der Medizin und Forschung gibt: Die Einnahme eines Medikaments könnte - zumindest im Kleinkindalter - doch so viel erfolgreicher sein als eine Creme. Denn ein Kleinkind versteht den Zusammenhang zwischen juckender Haut, Creme und der damit erreichten Linderung noch nicht. Für die Kinderhand zählt nur, das weiße Zeug schnell wieder wegzukratzen, um an die juckenden und nässenden Stellen zu gelangen und sich zumindest für eine Weile Linderung zu verschaffen. Doch das "Glück" ist nur von kurzer Dauer. Denn je mehr man die Stellen reizt, umso schlimmer wird es.
Heute bin ich 17. Bald werde ich endlich 18. Mehrere Jahre hatte ich Ruhe und schon die Hoffnung, ich hätte meine Krankheit sogar dauerhaft in den Griff bekommen. Ein Irrglaube. Nicht nur, weil Neurodermitis nicht heilbar ist, sondern auch, weil diese Schübe ganz plötzlich wieder auftreten. Nach anfänglichen Cremes ohne Kortison, die aber kaum Linderung brachten, verschrieb mir der Hautarzt endlich Cremes mit Kortison. Der erste Erfolg trat ein, sodass ich wieder etwas Ruhe hatte.
Seit etwa zwei Monaten hat mich meine Krankheit wieder eingeholt, und es kommt mir schlimmer vor denn je. Abends ist es für mich unglaublich schwer einzuschlafen. Der anhaltende Juckreiz treibt mich Nacht für Nacht fast in den Wahnsinn. Am nächsten Morgen sind meine Arme meistens so aufgekratzt und trocken, dass ich meinen Tag, ohne meine Arme einzucremen, kaum beginnen könnte.
Tag für Tag durchlebe ich diese Routine. Gleich nach dem Aufstehen eincremen. Wenn es gut läuft erst wieder, wenn ich aus der Schule komme. Dann nach jedem Kontakt mit Wasser und abends noch mal, vor dem Einschlafen. Wie gesagt: Wenn es gut läuft ...
Doch schlimmer als die körperlichen Schmerzen sind allzu oft die seelischen. So ist es für mich meistens kein schönes Erlebnis, Klamotten zu kaufen, wo das doch eigentlich so einen Spaß macht. Aber spätestens wenn ich in der Umkleidekabine stehe und mich im hellen Licht sehe, wird aus dem Spaß die traurige Gewissheit, dass ich nicht das tragen kann, was ich möchte. Kaum einer kann sich vorstellen, wie viel Überwindung es kostet, im Hochsommer einen kurzen Rock und ein T-Shirt anzuziehen, wenn die kurze Kleidung doch den Blick auf die kaputte Haut freigibt. Aber auch wenn es nicht so ist: Das Gefühl, von allen Leuten angestarrt zu werden, ist immer präsent.
Wenn ich dann abends zu Hause bin und mir meine Haut anschaue, muss ich oft weinen. Und manchmal wünsche ich mir, dass diese Tränen doch heilen könnten. Dann müssten nur zwei oder drei Tränen meine Haut berühren - und all der Schmerz wäre vergessen ...
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