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Die Evolution des Plastikstuhls

Draußen vor der Tür spart die Berliner Gastronomie gern am Design - und bittet ihre Gäste zu Tisch auf Plastikstühlen in allen Variationen

Seit der Ernennung zur "Stadt des Designs" durch die Unesco im Jahr 2006 ist es sozusagen amtlich: Berlin spielt in Stilfragen weltweit ganz vorn mit. Davon kann man sich leicht mit eigenen Augen überzeugen, denn in fast jedem Teil der Stadt stolpert man inzwischen über Designhotels, schicke Cafés und stylische Bars. Doch leider gilt dabei oft das Motto "Innen hui, außen pfui". Denn vor der Tür ist in vielen Fällen Schluss mit dem Stilwillen. Woran das liegt, erklärt Gunter Schmitt, Inhaber des Cafés Sorgenfrei in der Schöneberger Goltzstraße: "Die Möbel für draußen müssen vor allem stapelbar und witterungsbeständig sein." Weil Funktionalität draußen wichtiger ist als Stil und Design, stehen vor seinem Café, das innen bis ins Detail im Stil der 50er eingerichtet ist, eher schlichtes Mobiliar.

In vielen Fällen kommt ein drittes Kriterium hinzu: der Preis. Und statt hochwertigem Metall ist dann oft billigster Kunststoff angesagt. Stapelbar, wasserfest, billig: Für die perfekte Erfüllung aller drei Kriterien steht ein weißer Plastikalbtraum, der unter dem Namen "Monobloc" bekannt ist. Das Modell gilt als meistproduzierter Stuhl der Welt. Er wird aus einem Guß gefertigt, was ihn besonders preiswert macht, er ist leicht, lässt sich platzsparend stapeln und einfach säubern. Seit einigen Jahren wird der Stuhl auch kulturwissenschaftlich erforscht, zum Beispiel von dem in Berlin lebenden Forscher Jens Thiel, der an einer Monographie zu diesem Thema arbeitet. Für ihn ist der Monobloc "das erfolgreichste und unbeliebteste von Menschen geschaffene Möbelstück". Und es ist wichtig genug für eine Ausstellung, die es ab Juni im Design Museum München geben wird. In Berlin steht der Monobloc hauptsächlich vor Imbissen - doch das Plastikstuhl-Prinzip hat sich mittlerweile in allen gastronomischen Sparten durchgesetzt. Dabei hat es einen evolutionären Prozess durchgemacht. Die nächste Stufe nach dem weißen Vater aller Plastikmöbel geht zurück auf eine große schwedische Möbelkette. Der Vagö-Sessel ist eine modernisierte Variante des Monoblocs: er besteht ebenfalls aus Plastik, wird aus einem Guß gefertigt und ist stapelbar, kommt allerdings in der Form eines niedrigen Loungesessels daher. Es gibt ihn in den Farben Grün, Weiß und Schwarz, und in Berlin findet man ihn beispielsweise vor dem Galão am Weinbergsweg oder dem Kiosk am Kulturforum.

Die nächste Evolutionsstufe sind Kunststoffstühle, die nicht mehr komplett aus Plastik bestehen. Nur Sitzfläche und Lehne sind noch aus diesem Material, das Gestell aus Metall. Sie stehen meist vor Cafes, denn es gibt sie in vielen fröhlichen Farben. Solche Stühle verleihen beispielsweise dem Lausitzer Platz, Standort des Eissalon Tanne B, bunte Farbtupfer und leuchten am Winterfeldtplatz vor dem Miss Honeypenny in einem knalligen Orange. Besonders gemütlich sind diese Sitzgelegenheiten im Sommer nicht, weil Kunststoff dazu neigt, an nackter Haut zu kleben. Dafür kann man die Eisreste besser abwischen.

Die höchstentwickelte Stufe des Plastikmöbels steht nur noch in einem entfernten Verwandtschaftsverhältnis zum Monobloc: Stühle im Korb- und Rattan-Look. Die bestehen heutzutage oft nicht mehr aus echten Pflanzenfasern: Auf den zweiten Blick merkt man, dass das Material nur den Anschein des Organischen macht. Stühle und Liegen, die wie Rattanmöbel aussehen, aber in Wahrheit aus einer Kunststofffaser auf der Basis von Polyethylen bestehen, sind das Markenzeichen der Firma Dedon. Die Lüneburger gehören in Deutschland zu den Marktführern bei Outdoormöbeln und haben mehrere Designpreise gewonnen. In Berlin haben sie unter anderem die Dachterrasse des Hotel de Rome mit Loungesofas aufgemöbelt. Kopien der teuren Originale findet man mittlerweile in jedem Baumarkt, und sie verbreiten sich epidemieartig, was man beispielsweise rund um den Hackeschen Markt beobachten kann.

Bleibt keine Alternative zu Plastik? Mit dieser Frage hat sich das Berliner Design-Büro Pool22 beschäftigt. Das Team ist auf Möbel für draußen spezialisiert und hat dem klassisch weißen Plastik-Horror Monobloc einen ironischen Kommentar zur Seite gestellt: Bei der Spießer-Kollektion wird ein kleiner Beistelltisch mit angespitztem Tischbein in den Boden gesteckt, nach dem gleichen Spieß-Prinzip funktioniert auch eine Stehlampe. Das verwendete Material ist allerdings kein schnödes Plastik, sondern GFK, besser bekannt als Fiberglas. Wegen des hochwertigen Materials ist die Herstellung der Spießer-Kollektion deutlich teurer als der Monobloc. Genau das ist laut Frank Hesselmann von Pool22 auch das Problem bei den Berliner Biergärten, Strandbars und Co.: "Ich glaube, das entscheidende Kriterium für die meisten Gastro-Betreiber ist der Preis. Viele gehen dann halt zur Metro und kaufen ein paar Plastikstapelstühle oder Biergartengarnituren. Sachen, die schön sind, kosten einfach mehr."

Pool22 produziert fast nur für den Privatgebrauch und nicht für den gewerblichen Gastrosektor, obwohl es bereits mehrere Anfragen gab und Hesselmann auch gerne für Cafés entwerfen würde: "Sogar Designhotels haben bei uns schon angefragt, ob wir ihren Außenbereich gestalten, aber am Ende haben sich alle für billigere Ware statt neuartiges Design entschieden." Davon lässt sich das Design-Team von Pool22 aber nicht entmutigen und entwickelt neue Konzepte für innovative Outdoormöbel: "Im Moment arbeiten wir mit einem für Outdoormöbel ganz neuen Material, wir bauen Gartenmöbel aus Blech." Ob man diese irgendwann vor Berliner Cafés sehen wird, steht allerdings noch in den Sternen. Aber wer weiß - denn schließlich ist Berlin ja berühmt für sein tolles Design.

Text: Annika Zieske

Fotos: Jule Frommelt, Andreas Kottlorz, Eric Strelow / HIPI

Adressen

Sorgenfrei Goltzstraße 18, Schöneberg, Di-Fr 12-19 Uhr, Sa 10-18 Uhr, So 13-18 Uhr, Tel. 30 10 40 71, www.sorgenfrei-in-berlin.de

Galão Weinbergsweg 8, Mitte, Mo-Sa 7.30-20 Uhr, So 9-20 Uhr, Tel. 44 04 68 82, www.galao-berlin.de

Eissalon Tanne B Eisenbahnstraße 48, Kreuzberg, tgl. 9-23 Uhr, Tel. 69 56 78 11, www.tanneb.de

Miss Honeypenny Winterfeldtstraße 44, Schöneberg, Mo-Sa 8-2 Uhr, So 10-2 Uhr, Tel. 0157-83 61 92 03, www.miss-honeypenny.de

Pool22 Rotherstraße 18, Friedrichshain, Mo-Fr 10-18 Uhr, Tel. 29 77 07 00, www.pool22.de

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