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Tropenkrankheiten: Kampf um mehr Aufmerksamkeit

Weltweit leiden rund 1,7 Milliarden Menschen an einer vernachlässigten Tropenkrankheit. Viele könnten behandelt werden, oft wird die Krankheit aber sogar in Fachkreisen ignoriert. Das Problem ist in der Coronapandemie nicht kleiner geworden.


Eine der winzigsten Floharten kann eine Erkrankung auslösen, unter der Millionen von Menschen leiden und von der nur wenige wissen: die Tungiasis. Sie trifft besonders oft die Ärmsten der Armen, erklärt der Parasitologe Georg von Samson-Himmelstjerna, der die Tropenkrankheit erforscht. Am Anfang bohren sich die Weibchen des Sandflohs Tunga penetrans tief in die Haut, beim Menschen meist in die Fußsohlen, oft aber auch andere Körperstellen. Dann folgt ein unerträglicher Juckreiz. Manchmal können die Betroffenen vor Schmerzen nicht mehr laufen. Kinder verpassen die Schule, Männer und Frauen gehen nicht mehr zur Arbeit, der gesamte Alltag erlahmt, ein Teufelskreis aus Armut und Krankheit beginnt, den die meisten aus eigener Kraft nicht durchbrechen können.


"So viele Menschen leiden im Stillen", sagt Francis Mutebi von der Makerere-Universität in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. "Aber abgesehen von ein paar wohlgesinnten Organisationen und Forschergruppen tut niemand etwas." Mutebi, Samson-Himmelstjerna und seine Mitarbeiter Jürgen Krücken und Hermann Feldmeier an der FU Berlin wollen das ändern. Unterstützt durch den Rotary Club Schwarmstedt Aller-Leine-Tal wollen sie im Osten Ugandas Betroffene behandeln - und ihnen zeigen, wie sie sich selbst helfen können. Möglich wäre das, denn Forscher haben ein simples Mittel gegen den Sandfloh gefunden. Behandelt man die befallenen Hautstellen mit dem Silikonöl Dimeticon, sterben die Parasiten in kurzer Zeit ab. Zwar sei es "unrealistisch zu glauben, dass wir die Tungiasis komplett eliminieren können", sagt von Samson-Himmelstjerna. "Aber wir wollen dafür sorgen, dass es keine schweren Fälle mehr gibt."


Tatsächlich hat die Krankheit gerade im Osten Afrikas "epidemische Ausmaße" angenommen, wie der Parasitologenkollege Hermann Feldmeier schon vor Jahren konstatiert hat. Auf der internationalen Bühne findet sie dennoch fast keine Beachtung. Damit wäre die Tungiasis das klassische Beispiel einer "vernachlässigte Tropenkrankheit" (englisch: neglected tropical diseases, NTDs): Sie ist in den Tropen weit verbreitet, trotzdem kaum erforscht und trifft vor allem extrem arme Menschen. Weltweit leidet etwa jeder Fünfte unter einer NTD, wobei die Weltgesundheitsorganisation WHO entscheidet, welche Krankheiten genau darunterfallen. Im Frühjahr 2022 sind es insgesamt 20. Fünf davon, die so genannten "Big Five", verursachen 90 Prozent der Fälle. Die Tungiasis steht nicht auf der Liste: Sie fällt in die untergeordnete Kategorie vernachlässigter Hautkrankheiten.

Dabei haben es schon die gelisteten Krankheiten nicht leicht: Sie buhlen gewissermaßen um Aufmerksamkeit, wie Sultani Matendechero erklärt. Er leitet das nationale Institut für öffentliche Gesundheit in Kenia. "Das Traurige ist, dass es unter den 20 NTDs einige gibt, die noch mehr vernachlässigt werden als andere", sagt er. Natürlich fokussieren sich die ohnehin wenigen Programme gegen NTDs meist auf die "Big Five", und die restlichen Erkrankungen rücken in den Hintergrund. Untergeordnete Krankheiten wie die Tungiasis geraten schnell ganz aus dem Blickfeld.

Im Frühjahr 2020 drängte das Coronavirus weltweit in den Fokus, und der Wettbewerb um den Rest Aufmerksamkeit für alles andere verschärfte sich weiter. In Kenia wurden etliche NTD-Programme zeitweise eingestellt, wie Matendechero erzählt. Die Regierung selbst fokussierte sich auf die Bekämpfung der Pandemie, und auch Geberländer wie Großbritannien strichen den entsprechenden Spendenetat. "Viel von dem, was wir bis dahin im Kampf gegen NTDs erreicht hatten, ging mit der abrupten Kürzung wieder verloren", sagt Matendechero. In einigen Fällen müssten sie nun erneut bei null anfangen.


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