Große Erwartungen: Für Quentin Tarantino hat sich Margaret Qualley in ein verführerisch kaputtes Hippiegirl verwandelt. Jetzt spielt sie zum ersten Mal neben ihrer Mutter Andie MacDowell.
Von Annett Scheffel
Ihre Füße kennt jetzt jeder, Quentin Tarantino hat ihnen ein Denkmal gesetzt. In „Once Upon a Time ... in Hollywood“ spielt Margaret Qualley das Hippiegirl Pussycat, das beim Trampen in den cremefarbenen Cadillac einsteigt, mit dem Stuntman Cliff alias Brad Pitt durchs San Fernando Valley schwebt. Kaum drin, platziert sie ihre nackten Füße auf dem Armaturenbrett, und der bekennende Fußfetischist Tarantino filmt von außen durch die Windschutzscheibe: Großauftritt für die vielleicht schmutzigsten Fußsohlen der Filmgeschichte.
Margaret Qualley lacht ein lautes, ungezwungenes Lachen, wenn man sie darauf anspricht. „Once Upon a Time ... in Hollywood“ sei eine tolle Erfahrung für sie gewesen, sagt sie beim Interview in einer Berliner Hotelsuite. „Diese Fuß-Sache“ habe sie eigentlich gar nicht machen wollen, sie habe sich für ihre krummen Zehen geschämt – aber wer kann schon Tarantino einen Wunsch abschlagen? „Für mich ist es ein großes Glück, überhaupt dabei gewesen zu sein. Und eine Ehre, dass er mich dann nicht wieder rausgeschnitten hat“, sagt sie.
Aber es waren eben nicht nur ihre Füße, die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben. Qualleys Pussycat in Jeansshorts und Häkel-Top entpuppt sich als Mitglied der mörderischen Manson-Family. Hinter dem verführerischen Grinsen und dem unschuldig-fahrigen Geplapper am Straßenrand, mit dem sie ihre Mitfahrgelegenheit ergattert, steckt eine weitaus komplexere Geschichte. Die Beiläufigkeit, mit der sie Cliff auf der Fahrt einen Blowjob anbietet, könnte von sexueller Befreiung erzählen, lässt aber zugleich eine tiefe Beschädigung ahnen, in ihren Augen glimmt etwas beinahe Fanatisches. Mit Qualleys vielschichtiger Performance hält ein Hauch von Wahnsinn Einzug in Tarantinos sonnenbeschienenen Film – so werden Stars geboren.
Qualley hat sich im Schneidersitz auf den Teppich zwischen den Hotelzimmersessel gesetzt. Oben saß sie schon zu lange, unten ist es bequemer. Die 26-Jährige wirkt unbeschwert, trotz der ganzen Aufregung um ihre Person. „Ich glaube, Quentin liebt Filme mehr als alle anderen, die ich je getroffen habe“, sagt sie. „Wenn die Liebe zum Film so groß ist, kann man wahrscheinlich gar keine schlechten Filme machen. Ich weiß nicht, ob das auf alle Regisseure zutrifft, aber bei ihm funktioniert es auf jeden Fall.“
Qualley spricht schnell, mit einer überschäumenden Energie und hastigen Gesten, fast wie bei Tarantino. Womöglich gibt es in Hollywood gerade keine andere ernstzunehmende Schauspielerin, die so lässige Zwischenrufe wie „Oh G“ (G für God – Gott) oder „Guess what, dude“ (sinngemäß: „Stell dir vor, Alter!“) ganz selbstverständlich in ihre Sätze streuen kann. Wenn man sie fragt, was für eine Art Schauspielerin sie ist, winkt sie ab: „Ach, ich habe keine Ahnung, was ich tue.“
Aktuell ist sie in Philippe Falardeaus „My Salinger Year“ zu sehen, der 2020 der Eröffnungsfilm der Berlinale war und nun unter dem Titel „Mein Jahr in New York“ digital und als DVD/Blu-ray endlich auch in Deutschland verfügbar ist. Basierend auf den Memoiren von Joanna Rakoff spielt Margaret Qualley eine Studentin, die in den Neunzigerjahren frisch von der Uni nach New York kommt, um als Assistentin in einer Literaturagentur ihrem Traum von der Schriftstellerei näher zu kommen. Als wichtigste Aufgabe, die ihr von ihrer altmodischen Chefin (Sigourney Weaver) zugeteilt wird, stellt sich die Beantwortung der Leserpost für den bekanntesten Klienten heraus: Kultautor J. D. Salinger, der seit mehr als vierzig Jahren nichts mehr veröffentlicht hat und als zurückgezogener Kauz für niemanden mehr zu sprechen ist.
Sein einziger Roman, der Adoleszenz-Klassiker „Der Fänger im Roggen“ von 1951, zieht aber immer noch genügend Leser in seinen Bann. Bald gerät Joana selbst in den Strudel aus Verzweiflung, Orientierungslosigkeit und Aufbruchsstimmung, den Salinger darin so treffend beschrieben hat. Qualley gibt den Emotionen in Falardeaus etwas sentimentalen und unverblümt nostalgischen Film eine schöne Tiefe – das Leuchten in ihren Augen, die jugendliche Zerrissenheit schlagen eine Brücke zur Gegenwart.
Margaret Qualley ist die Tochter der Schauspielerin Andie MacDowell und des ehemaligen Models Paul Qualley. Geboren 1994 in Montana, wuchs sie im beschaulichen North Carolina auf. Die Schauspielerei, sagt sie, das sei ihre ganze Kindheit und Jugend über „das Ding meiner Mutter“ gewesen: „Ich habe noch nicht einmal viele Filme gesehen, als ich klein war. Dafür hatte ich gar nicht die Ruhe und Aufmerksamkeit. Ich war eher ein hyperaktives Kind. Meine erste große Liebe war das Tanzen. Meine Idole waren Tänzer und Tänzerinnen wie Dusty Button, Gillian Murphy und Ethan Stiefel.“
Qualley ist ausgebildete Balletttänzerin. Sie weiß, was harte Arbeit ist. Genauso gut weiß sie um ihre Privilegien: „Mir ist sehr bewusst, dass mir von klein auf viele Türen offenstanden.“ Mit 14 ging sie auf ein Kunstinternat und mit 16 nach New York, wo sie ihre Tanzschuhe schließlich doch an den Nagel hängte. „Ich habe das mit dem Tanzen verdammt ernst gemeint. Zu ernst“, sagt sie. „Und dann ist mir klar geworden, dass ich mich aus den falschen Gründen darin verbissen hatte. Ich wollte perfekt sein, ich wollte die Beste sein. Alles andere war keine Option. Das war ungesund.“
Interessanterweise spiegelt sich genau dieses Unbehagen inmitten von Perfektionismus und Leistungsdruck auch in vielen ihrer bisherigen Rollen. Margaret Qualleys Spezialität ist das feine Sezieren zwischen einer – auf den ersten Blick – makel- und mühelosen Erscheinung und den emotionalen Abgründen, die sich darunter manchmal verbergen. Ihre erste große Rolle war die einer traumatisierten Teenager-Tochter in der Mystery-Serie „The Leftovers“. Im Neo-Noir „The Nice Guys“ wurde sie 2016 als rebellische Ausreißerin von einem abgehalfterten Privatdetektiv-Duo gesucht.
Viel Beachtung erhielt sie 2019 für ihre Darstellung der Schauspielerin und Tänzerin Ann Reinking in der biografischen Miniserie „Fosse / Verdon“, für die sie eine Emmy-Nominierung erhielt. Dort spielt und tanzt sie auf Augenhöhe mit dem künstlerischen titelgebenden Broadway-Power-Couple (Sam Rockwell und Michelle Williams) durch die New Yorker Künstler- und Partywelt der Sechzigerjahre.
Überhaupt taucht Margaret Qualley in auffallend vielen historischen Stoffen des 20. Jahrhunderts auf. Absicht sei das nicht, sagt sie: „Ich wähle meine Rolle nicht strategisch aus. Ich bin für alles offen. Ich neige sogar dazu, Rollen anzunehmen, die mir erst mal Angst machen.“
Als nächstes wird Qualley in einer ganz und gar gegenwärtigen Rolle zu sehen sein: Anfang Oktober soll auf Netflix die Drama-Serie „Maid“ starten, in der sie zum ersten Mal neben ihrer Mutter Andie MacDowell vor der Kamera stand und eine obdachlose Mutter spielt, die mit ihrer Tochter aus einer gewalttätigen Beziehung geflohen ist und nun mit Aushilfsjobs um eine menschenwürdige Existenz kämpft.
An Arbeit mangelt es ihr also nicht, aber ob dieses Glück von Dauer ist? Da bleibt sie selbst vorerst skeptisch: „Wahrscheinlich war Tarantino mein Höhepunkt. Ab hier geht’s bergab“, sagt sie und lächelt, bevor sie zum nächsten Termin eilen muss. Tiefstapeln ist ihr Mittel gegen den Erwartungsdruck.
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