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Reifenwechsel im Selbstversuch: Du schlägst wie ein Mädchen | shz.de

Volontärin Anne Welkener tauscht für einen Tag Büro gegen Werkstatt, Schreibtisch und Stift gegen Hebebühne und Montiermaschine.

„Und Sie sind hier Praktikantin?", fragt mich eine freundliche Dame. „Ja, so ähnlich", antworte ich schmunzelnd und mache mich mit dem Schlagschrauber an den Rädern ihres Wagens zu schaffen. Dass ich Anfänger bin, sieht man auf Anhieb. Die „Kollegen" gehen mit dem Schlagschrauber so selbstverständlich um wie mit der Zahnbürste, bei mir dauert alles ein bisschen länger.

Kein Wunder, schließlich bin ich blutiger Anfänger. „Waren wir alle mal", beruhigen mich Alexander Valder und Martin Krempa, als ich mich ihnen am Morgen vorstelle. Die beiden 21-Jährigen sind Gesellen bei Reifen Thomsen an der Flensburger Straße und lassen mich heute mit anpacken. Schließlich ist Winterreifen-Zeit - und höchste Zeit für mich, endlich zu lernen, wie man Reifen wechselt.

Also tausche ich für einen Tag Büro gegen Werkstatt, Schreibtisch und Stift gegen Hebebühne und Montiermaschine - und mache mir die Hände mal richtig schmutzig. Üben darf ich zunächst an meinem eigenen Wagen: Bevor wir dem Corsa ans Fahrgestell gehen, steht aber ein Sicherheitscheck an - Standard für Kfz-Mechatroniker Martin: „Uns ist wichtig, dass der Kunde sicher durch den Straßenverkehr kommt", erklärt er mir, während wir unter die Motorhaube schauen.

Als technisch desinteressierter Mensch weiß ich gerade mal, wie man die Motorhaube aufmacht und wo das Wischwasser nachzufüllen ist. Als Martin mir zeigt, wo ich bei meinem Wagen den Ölstand messen kann, erinnere ich mich dunkel. Gemeinsam stellen wir fest: Mein Wagen hat so wenig Öl, dass der Peilstab es nicht einmal anzeigt. Für den Ölwechsel kann ich also bald wiederkommen. Danach geht die Kontrolle weiter: Auch Kühlerfrostschutz, Scheibenwischer, Lichtanlage, Unterboden, Auspuff und Traggelenke nehmen wir unter die Lupe. Kurzum: Wir haben Sachen überprüft, von deren Existenz ich nicht einmal wusste.

Dann endlich machen wir uns an die Reifen. Und: Mein Debüt mit dem Schlagschrauber macht tierisch Spaß. Nach ein paar Minuten - einem Vielfachen der Zeit, die einer der Gesellen gebraucht hätte - habe ich alle Schrauben des ersten Rades raus und hieve es von der Achse. Mit Kreide schreibe ich darauf 3001VR. 3001 ist meine Kundennummer, vorne rechts war das Rad montiert. Einer meiner Winterreifen, auf dem ebenfalls dieser Vermerk steht, gehört aber nicht automatisch an die Position vorne rechts. Den soll ich besser hinten rechts montieren: Damit sich Vorder- und Hinterreifen gleichmäßig abnutzen, erklärt mir Alex. Bald sind wir fertig, und die Sommerreifen kommen zu 600 anderen Reifensätzen ins Lager.

Für Alex und Martin wiederholt sich die Prozedur in diesen Tagen ständig. Seit einem guten Monat ist für die beiden wieder Hochsaison, denn von O bis O, also von Oktober bis Ostern, ist Winterreifenzeit. Martin selbst hat seine Räder in diesem Jahr schon früh montiert, viele Kunden seien deutlich später dran. „Vor einem Jahr gab es um diese Zeit schon Schnee und Frost", berichtet Filialleiter und Meister Ralf Blum. „Bei solchen Minustemperaturen ist hier Alarm." 60 bis 70 Autos werden dann pro Tag auf drei Hebebühnen abgearbeitet. Aber zurzeit herrscht noch Ruhe vor dem Sturm - und so haben die Männer genug Zeit, mir einiges zu zeigen.

Nachdem wir mit meinem Wagen fertig sind, kommen die nächsten Kunden vorgefahren. Und prompt wird es spannender: Die Räder müssen nicht nur runter, sondern wir müssen auch die Sommerreifen von der Felge nehmen und die Winterreifen darauf montieren. Dafür ziehe ich zunächst mit einer Montiermaschine den Reifen auf die Felge, pumpe ihn auf, bis der nötige Druck erreicht ist, und wuchte die Räder anschließend aus. Das macht am meisten Spaß. Mit der Wuchtmaschine messe ich, ob der Reifen vibrationsfrei dreht. Falls nicht, schlage ich die nötigen Wuchtgewichte zum Ausgleich an die entsprechende Stelle der Felge.

Das Auswuchten ist oft der einzige Arbeitsschritt, den die Kunden nicht zu Hause machen können. „Wer seine Reifen selber wechselt, kommt spätestens zum Auswuchten zu uns", sagt Martin und erklärt, warum dieses Auswuchten so wichtig ist: Die Unwucht übertrage sich auf die Traggelenke am Fahrzeug und sorge damit nicht nur für eine störende Vibration im Lenkrad, sondern gegebenenfalls auch für größere Schäden.

Apropos ausschlagen: Beim Wagen eines anderen Kunden sitzt ein Rad so fest auf der Achse, dass erst ich und dann auch Alex bei dem Versuch scheitern, es abzuziehen. Alex drückt mir also einen Hammer in die Hand, der mir gefühlt bis zur Hüfte reicht, und zeigt mir, wo ich hinschlagen soll. Ich schaue skeptisch zum Fahrzeughalter, der zwei Meter weiter lächelnd beobachtet, wie ein Anfänger mit einem großen Hammer auf seinen Wagen losgelassen wird. Zehn Schläge später hat sich der Reifen immer noch keinen Millimeter bewegt. Alex neben mir lacht mich aus: „Du schlägst wie ein Mädchen!"

Aber trotz dieses kleinen Misserfolgs ernte ich im Laufe des Vormittags mehr Komplimente als Spott.


von Anne Welkener erstellt am 13.Nov.2013 | 17:00 Uhr

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