In Deutschland gibt es momentan fast täglich neue Meldungen, dass irgendwo ein Asylbewerberheim gebrannt hat - und das betrifft längst nicht nur den Osten. Allein bis Ende Juni gab es laut BKA schon über 200 Angriffe auf Flüchtlingsheime. Auch in Bayern werden es mehr. Michael Müller (32) forscht an der Uni Siegen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und hat mit uns darüber gesprochen, woher dieser Hass eigentlich kommt.
Michael Müller: Es ist schwierig, da einen Mittelwert zu finden. Aber insgesamt sind doch relativ viele Menschen fremdenfeindlich eingestellt: Wenn ich das auf dieser Skala angeben müsste, würde ich sagen sieben.
Ja, es ist aber auch sehr schwierig, sowas anzugeben. Auf der einen Seite gibt es natürlich ein gewisses gesellschaftliches Engagement für Flüchtlinge, eine Art Fremdenfreundlichkeit. Und was die gesamte Ausländerfeindlichkeit angeht, gibt es tatsächlich in 2014 im Vergleich zu 2012 rückläufige Zahlen. Aber wenn ungefähr 40 Prozent in Deutschland bei einer repräsentativen Umfrage sagen, dass die meisten Asylbewerber in ihren Heimatländern gar nicht verfolgt werden, dann ist das ein großer Teil der Gesellschaft, der auch bis in die gesellschaftliche Mitte reicht.
Der Hochpunkt war ja Anfang der 90er-Jahre - dann war die Fremdenfeindlichkeit tendenziell rückläufig und jetzt zieht es wieder an.
Es ist vielfältig, aber man kann ein paar Gründe rauspicken. Bei der einzelnen Person hat es biographische Gründe. Da kommen viele Dinge hinzu: von der psychischen Struktur, den Erfahrungen, der Erziehung und der Sozialisation. Aber gesamtgesellschaftlich gibt es auch gewisse Normen, die bestimmte Vorurteile eher unterdrücken. Zum Beispiel kann man sich in Deutschland wohl kaum antisemitisch äußern, islamfeindlich schon eher. Diese sozialen Normen machen die einen Feindlichkeiten wahrscheinlicher und die anderen eben nicht. Und dann kommen noch regionale Strukturen vor Ort dazu.
Da muss man bei den Leuten individuell draufschauen - es braucht natürlich eine gewisse Gewaltaffinität. Aber auch das Umfeld, die Freunde oder Personen, die das vielleicht unterschwellig legitimieren, darf man nicht außer Acht lassen. Aus dieser Kombination passieren solche Angriffe: persönliche Haltung, persönlicher Hass, Gewaltaffinität und die Gelegenheit und der Situation vor Ort.
Bevor man das zum ersten Mal macht, nehme ich an, dass die meisten Menschen eine Hemmschwelle haben. Dadurch, dass es insgesamt mehr wird, sinkt aber auch für den einzelnen die Grenze so etwas zu tun. Das kann sich gegenseitig verstärken und auch radikaler machen. Dadurch, dass es immer mehr wird, erscheint es für den einzelnen leichter und legitimer, das zu machen.
Wenn man sich ansieht, was gerade in Deutschland passiert, könnte man sagen, die deutsche Geschichte hat eine zu geringe Rolle. Würde man sie berücksichtigen, sähe es vielleicht etwas anders aus - dann sollten wir im Verhältnis zu anderen Ländern weniger anfällig wären dafür. Aber offensichtlich ist dem nicht so.
Manche sagen, dass das gesellschaftliche Umfeld momentan rechtspopulistische Taten eher unterstützt als vorher, so dass rechtsextreme Täter mehr Auftrieb kriegen. Stimmt das?
Ja, wenn ich mich in einem Umfeld befinde, das es tatsächlich - oder auch nur in meiner Wahrnehmung - gutheißt, wird es wahrscheinlicher, dass sich Personen offen rechtsextrem äußern oder Gewalttaten ausführen.
Ob das gesamtgesellschaftlich ok ist, ist fraglich, aber es gibt Situationen im Freundeskreis oder bei Veranstaltungen, wo das in Ordnung ist. Da, wo ich keine Sanktionen fürchten muss, wo mir nicht widersprochen wird, bricht sich das natürlich Bahn. Wenn ich diese Haltung grundsätzlich habe und das immer latent da war, und ich dann das Gefühl habe, jetzt ist es legitim das zu sagen, dann kommt das natürlich raus.
In der Debatte scheint es nur ein schwarz oder weiß zu geben - also Leute, die helfen und Leute, die hetzen. Warum gibt es keine "neutrale" Haltung?
Ich weiß nicht, ob eine neutrale Haltung bei einem Thema dieser Art überhaupt denkbar ist. Entweder man findet Vielfalt gut, also eine heterogene Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebenskonzepten, Kulturen, Religionen und so weiter. Oder man findet, Gesellschaft sollte homogen sein, im rechtsextremen Fall völkisch deutsch. Und an diesen beiden Vorstellungen kristallisiert sich diese Debatte. Deswegen sieht es jetzt so aus, als würde sich das tatsächlich polarisieren. Das ist ein Streit der Ideologien.
Leider ja. Es gibt allerdings einen praktischen Unterschied: Heute kann man sich viel leichter vernetzen. Wenn ich eine rechte Orientierung habe, finde ich viel leichter über das Internet Unterstützung und Anerkennung für meinen Hass. Anschläge oder Hupkonzerte gegen Auftritte von Angela Merkel lassen sich leichter organisieren - die Vernetzung heute ist einfacher und da ist natürlich eine gewisse Gefahr drin.
Sind die Motive auch vergleichbar?
Ja, es ist immer wieder dasselbe: Es geht darum, dass Menschen, die als anders oder fremd wahrgenommen werden, nicht hierherkommen sollen. Es geht um Ablehnung, es geht um die Vorstellung einer homogen zusammengesetzten deutschen Gesellschaft. Wobei natürlich die Leute dann definieren, was deutsch ist.
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