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Ein Bistumsbeautragter erklärt, warum eine Berliner Pfarrei erst Monate nach dem Erzbischof von einem Missbrauchsverdacht erfahren hat - und vergleicht das Zölibat mit der Ehe.
Für die Heilig-Kreuz-Gemeinde in Berlin war es ein Schock: Nicht nur am Canisius-Kolleg und anderen Jesuiten-Einrichtungen sollen sich Priester an Jugendlichen vergangen haben, sondern auch mitten unter ihnen. Ein Mann beschuldigt einen Priester der Pfarrei des sexuellen Übergriffs während eines Freizeitausflugs im Jahre 2001. Domprobst Stefan Dybowski zum Vorwurf, das Zölibat fördere den Missbrauch: "Sie finden auch Missbrauchsfälle in der Ehe, in der Familie. Deswegen würde man nicht auf die Idee kommen, die Ehe abzuschaffen." (Foto: Foto: oh) Der Gemeinderat erfuhr erst vor wenigen Tagen von den Beschuldigungen, obwohl Berlins Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky bereits seit Juli 2009 unterrichtet war. Nach ersten Angaben des Bistumssprechers entschloss sich die Kirchenleitung wegen des Skandals am Canisius-Kolleg, jetzt an die Öffentlichkeit zu gehen. Domprobst Stefan Dybowski, der Beauftraugte des Erzbistums beim Vorwurf sexuellem Missbrauchs durch Geistliche, bestreitet das.sueddeutsche.de: Herr Dybowski, Sie haben die Heilig-Kreuz-Gemeinde über einen Fall unterrichtet, der intern schon länger bekannt war. Wurde der Druck durch die Enthüllungen über das Canisius-Kolleg zu groß?
Stefan Dybowski: Der Vorfall, der bei uns im Erzbistum aufgetreten ist, hat mit dem Jesuiten-Kolleg nichts zu tun. Es gibt nur eine zeitliche Übereinstimmung, keine inhaltliche Kausalität.
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sueddeutsche.de: Es verwundert, dass Sie ausgerechnet jetzt damit an die Öffentlichkeit gehen.
Dybowski: Der Termin, den Missbrauchsvorwurf am letzten Samstag in der Gemeinde bekanntzugeben, stand schon eher fest. Da waren die Vorfälle im Canisius-Kolleg noch gar nicht öffentlich. Das Einzige ist nur, dass unsere Zeit im Moment für dieses Thema sehr sensibel ist.
sueddeutsche.de: Kardinal Sterzinsky hat die Vorwürfe gegen Pfarrer W. bereits im Juli 2009 erfahren und setzte eine Untersuchungskommission ein, der auch Sie angehören. Sind Sie schon zu einem Ergebnis gekommen?
Dybowski: Da viele Verdächtigungen geäußert werden, müssen wir dem Sachverhalt nachgehen und sehen, ob sich der Vorwurf erhärtet. Erst dann kann man entsprechend weiterverfahren. Das braucht alles seine Zeit.
sueddeutsche.de: Wie ist Ihr Eindruck?
Dybowski: Das sind Dinge, die unter dem Schutz des Opfers stehen und nicht an die Öffentlichkeit kommen.
sueddeutsche.de: Pfarrer W. hat in Folge der Vorwürfe selbst den Verzicht auf die Pfarrei Heilig Kreuz angeboten und seine Schuld damit mehr oder weniger eingestanden.
Dybowski: Er hat eine Auflage bekommen, dass er sich von der Gemeinde fernhalten und nicht mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt treten soll. Im Moment ist er im Erzbistum Berlin nicht tätig, auch nicht seelsorgerisch.
sueddeutsche.de: Könnte er erneut als Priester eingesetzt werden?
Dybowski: Das muss man sich gut überlegen. In der Regel geht man eher vorsichtiger damit um, weil es so ein sensibles Thema ist.
sueddeutsche.de: Über Missbrauch wurde in der katholischen Kirche lange geschwiegen. Sie kennen den beschuldigten Pfarrer W. seit langem. Haben Sie Verständnis für Ihn?
Dybowski: Das ist eine schwierige Frage. Wenn jemand seine Position missbraucht, ist das eine schlimme Sache. Die Würde des Opfers wird erheblich verletzt. Von daher muss die Kirche absolut sagen: "Das ist nicht tragbar." Umgekehrt ist es natürlich so, dass die Kirche eine Fürsorgepflicht hat - letztlich auch für Menschen, die so etwas Schlimmes getan haben. Das ist eine sehr schwierige Situation, in der man selber steht. Da muss man schauen, dass die Entscheidungen gut überlegt sind.
Lesen Sie weiter auf Seite 2, was Domprobst Dybowski von der These hält, zwischen Zölibat und sexuellem Missbrauch bestehe ein Zusammenhang.