Die Seite präsentiert nicht nur Croft mit normalen Proportionen, sondern auch gleich neun weitere Spielekolleginnen. Die Photoshop-Montagen zeigen, wie weibliche Videospielcharaktere mit den durchschnittlichen Körpermaßen einer amerikanischen Frau aussehen würden. Damit will die Initiative zeigen, wie unrealistisch das Körperbild in Videospielen ist - und vor allem essgestörten Frauen dabei helfen, das zu erkennen.
Im Prinzip keine schlechte Idee, aber so richtig sinnvoll erscheint dieser Ansatz nicht: Es gibt andere Aspekte, über die es sich wirklich lohnt, sich Gedanken zu machen.
Die Entwickler arbeiten an realistischeren Videospielen, sie entwerfen komplexere Charaktere und verbessern die Grafik - nur beim Körperdesign bleiben Stereotype bestehen.
Nicht selten bekommt man den Eindruck, vor allem weibliche Spielfiguren würden mit eher weniger sinnvollen körperlichen Eigenschaften ausgestattet: Denn eine besonders schmale Taille oder dünne Arme sind wohl kaum hilfreich, um gegen Orks, Zombies oder Drachen zu bestehen.
Zum Glück hat die Spiel-Ikone aus der Computer- und Videospielreihe Tomb Raider, Lara Croft ( Körpermaße: 99-46-84), auch andere Qualitäten vorzuweisen: Sie ist flink, gelenkig und stark. Diese Eigenschaften machen Croft zur Heldin und zählen beim Spielen weitaus mehr als ihr Körperbau. Trotzdem dürften ihre überdimensionalen Polygon-Brüste sich beim Kämpfen natürlich als eher unpraktisch erweisen - zumindest wenn man das Ganze realistisch betrachtet.
Und hier stellt sich eine entscheidende Frage:
Welchen Realitätsanspruch sollte man Videospielen überhaupt beimessen? Und wie realistisch müssen die darin vorkommenden Charaktere wirklich sein?Getreu dem Fall, ein Riesenmutant greife plötzlich aus dem Hinterhalt an, würde es wohl kaum einen Unterschied machen, ob man jetzt sonderlich groß, klein, dick, dünn, schmächtig oder kräftig ist. Vielmehr bräuchte man vermutlich die Fähigkeit, 20 Meter in die Höhe springen oder an Wänden hoch laufen zu können. Im Zweifelsfall würde auch eine Desert Eagle helfen.
Das Problem, wenn es denn überhaupt ein solches gibt, ist zudem nicht allein auf weibliche Spielfiguren beschränkt. Auch männliche Charaktere werden meist in körperlichem Übermaß dargestellt: So ist etwa Sam "Serious" Stone (Wikipedia), Hauptcharakter aus der Computerspielreihe "Serious Sam", mit gigantischen Stahlmuskeln und extrem breiten Schultern ausgestattet. Wie sonst sollte er ansatzweise glaubhaft gegen außerirdische Monster antreten? Dennoch: Stones Körpermaße weichen genauso von der Norm ab wie die von Croft.
Aber mal ehrlich: Wen stört das eigentlich?Sicherlich, viele Spieler und Spielerinnen identifizieren sich mit den Charakteren. Allerdings beschränkt sich das meist auf das Spielgeschehen: Es geht darum, in eine virtuelle Welt einzutauchen und diese aus der Perspektive der Spielfigur zu betrachten. Kaum jemand will einem unrealistischen Pixel-Ideal im realen Leben nacheifern.
Daher ist die Frage auch, inwiefern weibliche oder männliche Videospielfiguren überhaupt als Vorbilder gesehen werden - und vor allem: Wer strebt dieses Körperbild überhaupt an?
Natürlich können auch diese Videospielerinnen (und -spieler) theoretisch zu einem unrealistischen Körperbild beitragen: Denn alle Bilder, die einen über mehrere Medien hinweg erreichen, üben in ihrem Zusammenwirken möglicherweise negativen Einfluss aus. Diese verschiedenen Reize verzerren also in ihrer Menge ein gesundes Körperideal.
Und trotzdem: Im Gegensatz zu Stars, wie Kim Kardashian, Candice Swanepool oder Rihanna, sind Lara Croft, Sonya Blade (Mortal Kombat vs. DC Universe) oder Rikku (Final Fantasy X-2) eben keine echten Menschen, sondern schlicht virtuelle Spielfiguren.
Es ist also etwas übertrieben, sich ernsthaft über die Körperbilder in Videospielen aufzuregen. (Viel ärgerlicher: Warum sind überhaupt relativ wenige weibliche Hauptcharaktere in Videospielen vertreten?)
Wenn wir uns ernsthaft auf eine Diskussion über Körpermaße einlassen, dann können wir über noch viel mehr streiten: über die Hautfarbe zum Beispiel, die Ethnie, das Fehlen von körperlichen Behinderungen.
Daher bedarf es, wenn überhaupt, vielmehr an Diversität in jeglicher Hinsicht.Die vermutlich einfachste Lösung wäre, den Spielern und Spielerinnen zum Beispiel die Avatar-Gestaltung selbst zu überlassen, wie es bereits in vielen Rollenspielen, wie "Fallout" oder dem MMORPG "World of Warcraft" möglich ist.
Das schließt zwar keine unrealistischen Proportionen im Allgemeinen aus, bezieht aber zumindest die gesamte Bandbreite mit ein. Letztendlich wäre es dann jedem selbst überlassen, wie seine Figur im Spiel auszusehen hat.