Wie bewegt man sich in der virtuellen Realität, ohne dass einem schlecht wird? Spieleentwickler feilen an immer ausgefalleneren Lösungen dieses Problems. Wir zeigen, welche es gibt - und was noch kommt.
Eine graue Wolkendecke zieht über den Bergen auf. In der Ferne ist der Wald zu sehen, vor mir die Straße, ihr Ende ist nur vage zu erahnen. Ich liege auf einem Longboard, gleich werde ich die Straße mit 190 km/h herunterbrettern. Plötzlich erscheinen vor meinen Augen überdimensionale Letter, ich lese: "3, 2, 1, go!"
Schnell nehme ich an Fahrt auf, binnen weniger Sekunden erreiche ich 70 km/h. Vor mir fährt ein Auto, ich muss ausweichen. Ruckartig neige ich meinen Kopf zur Seite - und entgehe der Kollision. Ich werde schneller. Auf einmal fällt ein Baumstamm auf die Straße, wieder muss ich ausweichen, diesmal neige ich den Kopf nach rechts. So geht es immer weiter - und dann wird mir schlecht.
Meinen Extremsport mache ich in der virtuellen Realität (VR), in einem kurzen, aber magenintensiven Spiel namens "VR Luge", das mit Kopfbewegungen gesteuert wird. "VR Luge" ist Teil einer Sammlung namens "VR Worlds" für die VR-Brille Playstation VR. Ihre Inhalte sind noch keine serienreifen, ausgefeilten Spiele, sondern mehr Ideen, die zeigen, was VR leisten kann - oder eben auch nicht.
Woher kommt die Übelkeit?
Im Fall von "VR Luge" ist das Problem vor allem eines: Dass man sich anders bewegt, als man fühlt, sagt Eike Langbehn, der als Doktorand an der Uni Hamburg die Fortbewegung in VR erforscht. So nahmen meine Augen die rasante Fahrt wahr, doch mein Körper spürte, dass ich still auf einem Stuhl saß - mich also nicht reell fortbewegte. Diese widersprüchlichen Wahrnehmungen der Sinnesorgane lösten die Übelkeit aus, erklärt Langbehn. Sie seien ein typisches Symptom der sogenannten Cyber Sickness, für die manchmal auch das Wort "Motion Sickness" verwendet wird. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Reisekrankheit. Bei manchen Menschen tritt sie während oder nach einer virtuellen Erfahrung auf, meist mit weiteren Begleiterscheinungen, wie Kopfschmerzen oder Schweißausbrüchen.
"Vor allem Beschleunigungen sind in virtuellen Realitäten problematisch", sagt Experte Langbehn. Vergleichbar sei das mit einer Bahnreise, bei der man die Fahrt an sich nicht spüre, dafür aber das Anfahren und Bremsen. Grund dafür ist, dass der Körper Geschwindigkeiten nicht wahrnehmen kann, Drehbewegungen und Beschleunigungen hingegen schon. Für die Zukunft von VR ist das Thema ein großes: Erst wenn es möglich wird, sich in VR frei fortzubewegen, kann auch das Problem der "Cyber Sickness" gelöst werden.
Eine schonende Form, um sich in virtuellen Welten fortzubewegen, ist zum Beispiel das Fahren mit konstanter Geschwindigkeit, wie im Shooter "Until Dawn: Rush of Blood" für Playstation VR. Der Spieler sitzt hier in einer virtuellen Lore, die auf Schienen durch eine Horrorwelt fährt. In der realen Welt sitzt man währenddessen meist auf einem Stuhl, man kann sich so zumindest vorstellen, in der Lore zu sitzen.
Große Welt bleibt kleine Welt
Für die meisten Menschen komfortabler und intuitiver ist es aber, sich in Spielen in einer Art virtuellem Käfig bewegen zu können, wobei der Käfig einem Ausschnitt des realen Raums entspricht, der tatsächlich durchschritten werden kann. Möglich ist das zum Beispiel bei der Vive von Valve und HTC, die diese Option als Room Scale VR vermarkten.
Room Scale VR ist eine besondere Erfahrung. Bei einem Test stehe in einem dunklen Raum und frage mich: Wo ist mein Körper hin? Vor meinen Augen leuchtet ein Kreis, eine Art Farbpalette. Ich kann per Controller eine Farbe auswählen, nehme ein kraftvolles Rot. Mit den Händen zeichne ich Streifen in den Himmel, um mich herum ziehe ich Kreise, ihre lodernden Flammen erleuchten die Dunkelheit.
"Tilt Brush" ist ein Malprogramm für die Vive. Spieler können darin die virtuelle Umgebung mithilfe der Handcontroller mit Kunst versehen - und sich gleichzeitig mit echten Bewegungen durch den virtuellen Raum bewegen. Möglich machen das zwei Raumsensoren, mit denen der virtuelle Käfig aufgespannt werden kann, maximal fünf mal fünf Meter groß. Solange man nicht an seinen leuchtenden Rand kommt, ist man im Käfig mittendrin in der virtuellen Welt.
Der Richtungssinn ist schwach ausgeprägt
"Dass man in virtuellen Spielewelten bisher nicht weit vorankommt, ist eines der größten Herausforderungen in der VR-Forschung", sagt Eike Langbehn. Er selbst forsche an einem Lösungsansatz namens "Redirected Walking", welches sich den schwach ausgeprägten Richtungssinn des Menschen zunutze macht.
Hierbei wird der Spieler im realen Raum gezielt um die Kurve geführt, während dieser glaubt, in der virtuellen Welt geradeaus zu gehen. Derzeit sei in seinem Forschungsbereich noch ein Radius von rund 22 Metern notwendig, damit der Spieler nicht merke, dass er eigentlich im Kreis läuft. Im eigenen Zuhause könnte das eng werden.
Etwas platzsparender ist da die Fortbewegung per Teleportation, wie sie in der Billardsimulation "Pool Nation VR" für die Vive möglich ist. In diesem Spiel finde ich mich in einer Art Spielekneipe wieder, um mich herum stehen Computerfiguren. Am anderen Ende des Raumes spielen sie Billard, das will ich auch. Also strecke ich meinen rechten Arm aus, visiere das Ziel an - und bin einen Moment später mittendrin. Das Teleportieren ist ein bequemer Weg, zu reisen.
Weit weg und doch so nah
Nur: Teleportationen sind nichts Natürliches. Das Gefühl der Präsenz in derartigen VR-Spielen ist entsprechend niedrig, sagt Langbehn - es fällt schwerer, sich in der Welt vor Ort zu fühlen. Alles andere als leicht ist es auch, in Teleport-Welten räumliches Verständnis aufzubauen. "Nach einer Teleportation muss man sich immer erst neu im Raum orientieren", sagt Langbehn.
Damit die Orientierung gelingt, kann man sich bei der Billardsimulation nur über kurze Distanzen hinweg teleportieren. Wie groß diese Abstände sein dürfen, hängt aber stark von der Spielumgebung ab. Bei sehr weitläufigen Räumen, etwa in einer virtuellen Wüste, könnten auch etwas größere Entfernungen per Teleportation zurückgelegt werden, meint Eike Langbehn.
Der Experte sagt, bei der Entwicklung von VR-Anwendungen gehe es bislang vor allem ums Ausprobieren, ums Experimentieren. In der Forschung sei man aber eigentlich schon weiter, denn: "Die Technologie gibt es im Prinzip schon seit Jahrzehnten." Noch fehle es aber an einheitlichen Konzepten, die übergreifend für verschiedene VR-Erfahrungen funktionierten. An einem solchen Standard könnten sich auch die Nutzer orientieren. Und ab dann kann es mit der virtuellen Realität noch schneller vorangehen.