Der Minister verteidigte derweil im aktuellen SPIEGEL das Gesetz und zeigte sich irritiert über die "pauschalen Angriffe". Für die Gefahr, dass künftig auch nicht rechtswidrige Inhalte und Äußerungen im Netz massenhaft gelöscht werden könnten, sehe er "keinerlei Belege oder Erfahrungen".
Ist das NetzDG nun der vielbeschworene, eklatante Eingriff in die Meinungsfreiheit oder ist die Aufregung übertrieben? Das diskutierten am Mittwochabend Rechtsexperten, Vertreter/innen der Politik und der DJV-Bundesvorsitzende Prof. Frank Überall bei einer vom Branchenverband BITKOM e.V. veranstalteten Diskussion in Berlin. Verfassungsrechtlicher Prof. Karl-Heinz Ladeur warnte eingangs eindringlich vor den Gefahren des Gesetzes für die Presse- und Meinungsfreiheit. Das NetzDG sei aber auch juristisch „ein richtig schlechtes Gesetz." So würden rechtlich zulässige Aussagen völlig aus dem Blick geraten, die Löschfristen seien "unsinnig und nicht umsetzbar".
DJV-Chef Überall berichtete, Deutschland stehe wegen des NetzGD bereits unter internationaler Beobachtung. Mittlerweile befasse sich sogar die OSZE mit dem Thema. Er bezog sich dabei auf eine ihm vorliegende noch unveröffentlichte gutachterliche Stellungnahme von Prof. Holznagel im Auftrag der weltweit größten Sicherheitsorganisation. Überall stellte klar, dass bei Straftaten der Staat gefragt sei: „Wir brauchen keine privaten Hilfssheriffs“.
MdB Johannes Fechner (SPD) versprach, den Anwendungsbereich des NetzDG nachzubessern. Auch Nadine Schön
von der CDU-Fraktion sagte mit Blick auf die zahlreich eingebrachten
Einwände der Diskussionsteilnehmer zu, diese genau zu prüfen. Sie
bedauere aber ausdrücklich die Eile der Verfahrens. Das Gesetz brauche
gesellschaftliche Akzeptanz und müsse grundrechtskonform sein.
Wie eine zufriedenstellende Überarbeitung des NetzDG vor der
Sommerpause gelingen soll, bleibt ein Geheimnis. Denn die
Rechtsgutachten und Stellungnahmen dürften sich mittlerweile bis an die
Decke stapeln. Auch der DJV wertete den Entwurf äußerst kritisch und hat
sich gemeinsam mit Digitalverbänden, Netzaktivisten und anderen
Journalisten-Organisationen in der „Allianz für Meinungsfreiheit“ sowie
in einer eigenen Stellungnahme
dagegen positioniert. Zuletzt haben die Ausschüsse des Bundesrats teils
scharfe Kritik an der Gesetzesvorlage geübt, sie fordern ebenfalls
zahlreiche Nachbesserungen und Überprüfungen.
Dass Gesetze, die mit der heißen Nadel gestrickt wurden, zu
Rechtsunsicherheit und hohen Folgekosten führen können, zeigte sich
zuletzt beim Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Die
Bundesregierung täte sich selbst einen Gefallen, wenn sie das NetzDG
nicht vor der Bundestagswahl durchpeitschen würde.
Ein Kommentar von Anna-Maria Wagner
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