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Verfassungsgericht zu Daten-Software: Wann darf die Polizei Big Data einsetzen?

Welche Methoden dürfen erlaubt sein, um Straftaten vorzubeugen? Die Polizei in Hessen benutzt eine Software, die dafür großflächig Daten auswertet. Nun beschäftigt sich das Verfassungsgericht damit.

NSU-Terror, Hanau, Halle. Nach Terrorfällen tauchten in der Vergangenheit häufig Hinweise von vor der Tat auf, die die Frage aufkommen ließen: Warum hat die Polizei nichts gewusst? Warum hat sie nicht früher reagiert?

In Hessen durchsucht deshalb die Software Hessendata automatisiert Datenbanken und Informationen unterschiedlicher Polizeibehörden innerhalb des Bundeslandes auf Verknüpfungen. Was eine Polizeidienststelle weiß, davon sollen die anderen Polizeibehörden auch profitieren.

Daten werden verknüpft

Wenn also die Polizei in Frankfurt Hinweise darauf hat, dass jemand möglicherweise einen terroristischen Anschlag planen könnte, darf sie dazu auch Informationen nutzen, die bei der Polizei in Kassel vorliegen.

Hier kommt die Software Hessendata ins Spiel: Sie greift auf riesige Datenmengen zu, die die Polizeibehörden aus vorherigen Fällen in Hessen selbst gesammelt und abgespeichert haben. Die Ermittlerinnen und Ermittler geben dazu einen Suchbegriff in das Programm ein, beispielsweise den Namen der verdächtigen Person, und stoßen so womöglich auf weitere Daten wie den Wohnort, die Telefonnummer oder welche Kontakte die Person zu anderen Verdächtigen hatte.

Die Polizei könnte aber beispielsweise auch nach einem Ort suchen, zum Beispiel einem Hochhaus, und so herausfinden, welche Personen in diesem Haus leben, die in Verbindung mit Terrorverdacht stehen. Kritisch wurde in der Verhandlung gesehen, dass die Software grundsätzlich nicht nur Daten von Tatverdächtigen und Tätern speichert, sondern auch von Opfern und Zeugen. Treffer liefere die Software bei so einem Suchvorgang dann aber nur zu Tatverdächtigen und Tätern, nicht also beispielsweise zu Zeugen oder Opfern solcher Taten. So soll ausgeschlossen werden, dass unverdächtige Personen ins Visier der Polizei geraten. Auch auf Daten aus sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram kann die Polizei so grundsätzlich Zugriff haben.

Bundesweites Signal

Es gehe darum, die Bevölkerung vor schweren Straftaten zu schützen, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth von der CDU in der Verhandlung am Bundesverfassungsgericht. "Wir könnten gar nicht so viel Personal einstellen, dass diese Daten händisch ausgewertet werden könnten", machte er das Ausmaß klar. Ihm zufolge arbeiten aktuell etwa 2000 Ermittlerinnen und Ermittler mit der Software Hessendata. Es geht also nicht nur um eine kleine Spezialeinheit.

Bislang arbeitet neben Hessen nur Nordrhein-Westfalen mit einer solchen Software. Die gesetzliche Möglichkeit hätten aber auch Ermittlerinnen und Ermittler in Hamburg. Bayern erwägt, die Software einzuführen. Das Land hat eine Rahmenvereinbarung mit dem US-Softwarehersteller Palantir geschlossen, sodass andere Bundesländer kein eigenes Vergabeverfahren durchführen müssen, wenn sie die Software künftig nutzen wollen. Bei dem Verfahren geht es also durchaus um ein bundesweites Signal, ob und unter welchen Voraussetzungen die Länder das Programm nutzen dürfen.

Juristen haben Bedenken

Was zunächst sinnvoll klingt - dass Behörden untereinander Zugriff auf Informationen haben, um schwere Straftaten zu verhindern -, birgt aus Sicht von Datenschützern und Juristen allerdings große Gefahren.

Denn das Gesetz erlaubt den Einsatz der Software längst nicht nur, wenn es um den Verdacht von Attentaten oder Terror geht. Theoretisch dürften die Behörden die Software beispielsweise auch bei dem Verdacht von Betrugsdelikten einsetzen. Die hessischen Behörden pochten in der Verhandlung allerdings darauf, dass sie das Tool sehr ausgewählt einsetzten - nämlich vor allem bei Verdacht von Terrorismus, Kinderpornografie und schwerer, organisierter Kriminalität.

Verfassungsrichterin Gabriele Britz ließ in der Verhandlung erkennen, dass sie das Vorgehen der hessischen Behörden durchaus nachvollziehen könne. Sie habe den Eindruck, dass die hessischen Behörden sich diese Beschränkung aber vor allem selbst auferlegten. "Uns Verfassungsrichtern ist es am liebsten, das steht im Gesetz. Da scheint mir Luft nach oben", sagte Britz.

Anschlag in Hanau wurde nicht verhindert

Die Frage, welche konkreten Straftaten die Polizei durch die Software schon verhindern konnte, wurde in der Verhandlung nicht erörtert. Klar ist aber: Den Anschlag in Hanau, den der hessische Innenminister Beuth selbst als Beispiel anführte, konnte die Polizei 2020 so nicht verhindern, obwohl die Polizei die Software damals schon nutzte.

Dürfen Polizeien Algorithmen einsetzen?

In dem Verfahren geht es auch um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Polizei Künstliche Intelligenz, also selbstlernende Algorithmen, einsetzen darf. Im Vorfeld hatte es daran viel Kritik gegeben. Man wisse aus der wissenschaftlichen Forschung, dass Algorithmen beispielsweise schwarze Menschen häufiger als straffällig einstuften, so Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Polizeibeamtinnen und -beamte hätten keine Möglichkeit, solche Vorurteile des Algorithmus zu beseitigen.

Das hessische Innenministerium pochte in der Verhandlung darauf, dass die hessische Version des Programms des US-Unternehmens Palantir aber nicht mit Künstlicher Intelligenz arbeite. Die hessischen Polizeibehörden setzten also keine Algorithmen ein. Technisch sei dies aber grundsätzlich möglich.

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