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Abartig alt: Sprache im Strafgesetzbuch - DIE FURCHE 07/2015

Das österreichische Strafgesetzbuch verwendet viele Begriffe aus den 50er-Jahren, die verstaubt bis ethisch inakzeptabel sind. Experten fordern mehr Sprachsensibilität.


Begeht jemand eine Tat, [...], weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, so hat ihn das Gericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen [...]." So beginnt Paragraf 21 des österreichischen Strafgesetzbuches, eine Schlüsselstelle, die über den weiteren Lebensweg eines psychisch kranken und möglicherweise schuldunfähigen Täters entscheidet. Aus heutiger Sicht klingt der Passus unpassend und überholt, kaum jemand würde psychisch beeinträchtige Mitmenschen als „seelisch abartig" oder „geistig abnorm" bezeichnen. In der Rechtssprache ist dies jedoch noch immer gängige Praxis. 

40 Jahre hat der Terminus gehalten 

 Dieser Paragraf ist ein Paradebeispiel. Das Strafgesetz in seiner aktuellen Fassung muss, so meinen Experten, an vielen Stellen in seiner Ausdrucksweise überarbeitet werden. „Die Gesetzesterminologie des ‚geistig-abnormen Rechtsbrechers' ist ein ganz krasses Beispiel dafür, dass Begriffe dringend geändert werden müssen", sagt Karin Dotter-Schiller, Oberstaatsanwältin und stellvertretende Leiterin der für den Strafvollzug zuständigen Abteilung im Bundesministerium für Justiz. Der Begriff der „seelischen Abartigkeit" ist aus heutiger Sicht stigmatisierend und ethisch verwerflich. Vierzig Jahre sind seit der letzten Großen Strafrechtsreform vergangen, fast ein halbes Jahrhundert, das der Terminus unbehelligt in Paragrafen, Urteilen und Gutachten überdauerte. „1975 war das noch zeitgemäß, heute ist das nicht mehr ‚politically correct'. Wir bemängeln das schon seit Jahren und fordern, diese Begriffe durch weniger diskriminierende zu ersetzen, weil diese Terminologie ja auch die Wiedereingliederungschancen verringert", so Dotter-Schiller. Der Maßnahmenvollzug hat immensen Überarbeitungsbedarf. Lange war er kein Thema in der Politik, so blieben auch Umbenennungsdebatten unbeachtet. Nachdem 2014 ein alarmierender Vernachlässigungsfall aus der Justizanstalt Stein ans Licht der Öffentlichkeit gelangt war, bestellte Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) eine Reformgruppe namhafter Experten, der auch Dotter-Schiller angehört, zur Prüfung des Strafvollzugs für psychisch Kranke. Ein Programmpunkt dabei ist die Umformulierung stigmatisierender Begriffe. „Unter medizinisch-psychologischen Gesichtspunkten hat sich viel getan, auch wenn diese Begriffe möglicherweise schon immer problematisch waren", sagt Dotter-Schiller. Ein soziales Stigma ist ein negativ konnotiertes Etikett, das kriminelles Verhalten verstärken kann. So konnte anhand der sogenannten „Labeling-Theorie" wissenschaftlich bewiesen werden, dass sich straffälliges Verhalten sogar verringern lässt, indem nicht-stigmatisierende Bezeichnungen verwendet werden. „Heute umschreibt man positiv. International spricht man von ‚Gruppen mit besonderen Bedürfnissen', also Gruppen, die mehr benötigen: unter anderem medizinisch-psychiatrische Betreuung", sagt Dotter-Schiller. Seit Ende Jänner liegt der Abschlussbericht der einberufenen Arbeitsgruppe vor. Die Bezeichnung „geistige oder seelische Abartigkeit von höherem Grad" soll, so die Empfehlung, geändert und eingegrenzt werden. Vorgeschlagen wird die Alternative „schwerwiegende psychische Störung". Der Begriff „Störung" soll den Fokus auf den „Krankheitsbegriff" legen und „nicht auf andere Aspekte der Normabweichung", heißt es. Das Ziel sei es, eine neutrale Definition zu wählen, die mit Artikel 14 der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen übereinstimmt. 

 Es gibt keinen sexuellen Gebrauch 

 Nicht nur den Maßnahmenvollzug betreffend wird die juristische Sprache kritisiert. Auch an anderen Stellen des Strafrechts gibt es Änderungsbedarf. „Die Terminologie des Delikts des sexuellen Missbrauchs ist eigentlich nicht mehr zeitgemäß", konstatiert Albert Steinhauser, Nationalratsabgeordneter und Justizsprecher der Grünen. „Denn das Wort Missbrauch suggeriert, es gäbe einen sexuellen Gebrauch, was besonders im Fall von Minderjährigen nicht zutrifft." Für die Begriffe „sexueller Missbrauch" oder „Vergewaltigung" schlägt Steinhauser die Bezeichnung „sexuelle Gewalt" vor. Und auch die „psychische Gewaltanwendung" sollte stärker in den Fokus gerückt werden, betont er. Daneben müsse beim Begriff des „Opfers einer Straftat" infrage gestellt werden, ob dieser noch adäquat sei, so Steinhauser. Die Opferbezeichnung habe eine immer stärkere stigmatisierende Bedeutung bekommen. Als Opfer wird jemand verstanden, der hilflos, ja wehrlos ist. Alternativ sollte besser vom „Betroffenen" oder „Geschädigten" gesprochen werden. „Das Strafgesetz braucht mehr sprachliche Sensibilität", sagt Steinhauser. Noch immer findet man in diversen Paragrafen den Begriff der „Rasse", der heute nicht mehr für Menschen angewendet und meist durch „Ethnie" ersetzt wird. „Unsere Strafgesetze müssen genau gescannt und durchforstet werden", fordert er. Denn insbesondere das Strafgesetz sei stark von Begrifflichkeiten aus den Fünfzigerjahren durchsetzt. Diese müssten herausgefiltert, hinterfragt und allenfalls ersetzt werden. „Sprache unterliegt einem Wandel, der sich auch an den Gesetzen ablesen lassen muss, weil Sprache Realität schafft." Wenn sich gesellschaftliche Wertevorstellungen ändern, muss sich auch das Gesetz plastisch darauf einstellen. Aber wie wahrscheinlich ist die Umformulierung von Rechtsbegriffen? Schließlich muss sich damit ja auch die bislang gültige Rechtsauffassung und deren Auslegung ändern. Karin Dotter-Schiller sieht im Bereich des Maßnahmenvollzugs einen breiten Konsens: „Terminologische Änderungen wie bei Paragraf 21 liegen auf der Hand, da muss niemand erst noch überzeugt werden. Die dafür nötige Gesetzesänderung kann durchaus auch schnell gehen." Bis dann Regelungen greifen, die psychisch kranke Täter in Psychiatrien und Forensikzentren statt in Hochsicherheitsgefängnissen unterbringen, könnten aber noch Jahre vergehen.


Der Traum vom großen Wurf

Die große Strafrechtsreform ist vierzig Jahre her. Sie war ein Quantensprung, ein epochales Ereignis der österreichischen Strafrechtsgeschichte: Christian Broda (SPÖ) realisierte 1975 unter der Kreisky-Regierung eine komplette Neukodifizierung des Strafgesetzbuches. Damals wurde Homosexualität entkriminalisierte und aus dem Sexualstrafrecht gestrichen. Heute gleicht das Strafgesetz einem „Fleckerlteppich" aus alten und neuen, nachgebesserten Gesetzesabschnitten. Im Februar 2013 berief deshalb Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) eine Expertengruppe zusammen: Das „StGB 2015" sollte im Zeitalter neuer Wertevorstellungen und des technischen Fortschritts zu einem modernisierten Gesamtpaket geformt werden. In der Zwischenzeit hat der aktuelle Amtsinhaber und Parteikollege Wolfgang Brandstetter die Federführung übernommen. Ein Kernthema der Reform konzentriert sich auf Strafenrelationen, also die „Aufwertung" von Vergehen gegen Leib und Leben gegenüber Vermögensdelikten. Daneben sollen die Grenzen der Gewerbsmäßigkeit enger gezogen werden und neue Formen der Kriminalität wie Cybermobbing Eingang ins Strafgesetzbuch finden. Auch bei der aktuellen Reform soll ein Augenmerk wieder auf das Sexualstrafrecht gelegt werden. „Ein Nein muss genügen" war das Motto, unter dem die Überarbeitung des Vergewaltigungsparagrafen gefordert wurde. Der Fokus soll vom Schutz der Sittlichkeit auf die sexuelle Integrität rücken, ein neuer Tatbestand soll her: „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung". Auch Graubereiche der sexuellen Belästigung, wie zum Beispiel der „Po-Grapscher", sollen nachgeschärft werden. Noch Ende Februar, heißt es im Bundesjustizministerium, wolle man sich anhand der Empfehlungen der Expertengruppe an einen Begutachtungsentwurf machen. Dann wird sich einmal mehr herauskristallisieren, welche davon tatsächlich am Ende im Gesetzbuch verankert werden könnten und ob das „StGB 2015" zu einem neuen Meilenstein wird.

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