Wenn es nach Einbruch der Dunkelheit bei Modesta Omwocha in Nairobi an der eisernen Wohnungstür klopft, schreckt ihr Sohn Emmanuel auf, Panik in den Augen. Ob seine Tante wieder vor der Tür steht? Mit einem Stein in der Hand? Erst im April hatten der Sechsjährige und seine drei älteren Geschwister ihren Vater verloren, die Familie ihren Ernährer. Aber das Unglück der Familie war damit nicht zu Ende. Seit dem Tod des 36-Jährigen sind seine Frau Modesta und ihre Kinder verstoßen von seiner Familie - vom handtuchgroßen Stück Erde im ländlichen Kenia, aus dem einfachen Haus, das Modesta Omwocha darauf mit ihrem Mann gebaut hatte. Der Drohung, sich nie wieder auf dem Land der Familie sehen zu lassen, verlieh die Tante mit einem Stein in der Hand Nachdruck. „Es ist so schmerzhaft für mich", sagt Frau Omwocha.
Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. Im ländlichen Kenia, wo die Mehrheit der 40 Millionen Kenianerinnen und Kenianer von dem leben, was der Boden hergibt, werden Frauen nach dem Tod ihres Ehepartners oft vom ehelichen Grundbesitz vertrieben, ihres Hausstandes beraubt, in schlimmeren Fällen bedroht oder gar tätlich angegriffen. Die alte Verfassung Kenias verbot den Landbesitz von Frauen zwar nicht, tolerierte aber in dieser Frage das Gewohnheitsrecht, nach dem Frauen nicht von ihren verstorbenen Ehemännern erben können. In manchen ethnischen Gruppen Kenias werden Witwen dazu gezwungen, sich von männlichen Verwandten ihrer toten Ehemänner erben zu lassen: Der Verwandte macht sämtlichen Besitz des Ehepaares zu seinem eigenen und die Witwe gleich dazu.
Frauen, die es wagen, sich dem zu widersetzen, werden in den meisten Fällen samt ihrer Kinder aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Nur wenige finden Zuflucht bei ihren Eltern, viele enden in den Slums der Hauptstadt Nairobi. Der Grund für die Feindseligkeit: Die Familien wollen die knappe und wertvolle Ressource Land nicht mit „Außenseitern" teilen. Kenias neue Verfassung, die seit drei Jahren in Kraft ist, soll die Rechte von Frauen stärken, nicht zuletzt im Hinblick auf das Vererben von Land.
Zu Lebzeiten ihres Gatten herrschte durchaus Harmonie zwischen Modesta Omwocha und ihrer angeheirateten Familie. Als frisch verheiratete junge Frau verließ sie ihr Elternhaus und zog nach der Hochzeit in das Dorf ihres Mannes, wie es Tradition ist im Westen Kenias und fast überall in Afrika. Von da an gehörte sie zu dessen Haushalt. Das Stück Land, das ihr Mann in Metembe von seinem Vater geerbt hatte, war zu klein, um die Familie zu ernähren. Gerade ein paar Beete Gemüse fanden darauf Platz. So schuftete sie, Seite an Seite mit ihrer Schwiegermutter, gegen einen geringen Lohn auf den Feldern der Nachbarn. Was sie und ihr Mann, der als Busfahrer arbeitete, gemeinsam verdienten, reichte kaum zum Überleben. Und so verließ er, wie viele junge Männer, vor fünf Jahren das Dorf und suchte ein Auskommen in der Hauptstadt. Ein Jahr später holte er seine Familie nach: Nairobi bietet bessere Schulen und größere Chancen, Arbeit zu finden. Dann platzte sein Magengeschwür. Der Zugang zu dem Wenigen, das er hinterließ, wird seiner Frau nun mit Gewalt streitig gemacht.
Dabei gibt es für das Land, das Modesta Omwochas Mann von seinem Vater erbte, gar keine offizielle Besitzurkunde: Es gehört eigentlich der Dorfgemeinde. Gemäß dem im subsaharischen Afrika weit verbreiteten kommunalen Bodenrecht darf jeder Bauer ein Stück Land innerhalb des von seiner ethnischen Gruppe kontrollierten Gebietes bebauen. Das Recht muss nicht in geschriebener Form vorliegen, sondern lediglich allgemein anerkannt sein und von einer lokalen Autorität wie einem Chief durchgesetzt werden. Als Folge der zunehmenden Bevölkerungsdichte und insbesondere, wenn ein Bauer sein Land dauerhaft nutzt, wandeln sich diese Nutzungsrechte aber praktisch häufig zu Eigentumsrechten.