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Steuergeschenk für Milliardäre

Collage: Florian Spring

Am 2. Oktober 2019 erreicht eine dringliche E-Mail die eidgenössische Steuerverwaltung in Bern. Betreff: Tonnage Tax. Absender: die Schweizer Mediterranean Shipping Company (MSC), das grösste Schifffahrtsunternehmen der Welt .

Man frage sich, warum der Bundesrat die Konsultationen zur neuen Tonnagesteuer noch immer nicht gestartet habe, schreibt ein MSC-Mitarbeiter. "Diese Verspätung schafft einige Unsicherheiten für die MSC-Gruppe." Und das zu einer Zeit, in der man über den Standort von "Investmentprojekten im Kreuzfahrt-Bereich" entscheiden müsse.

Der Konzern mit Sitz in Genf lässt gegenüber der Steuerbehörde die Muskeln spielen. Er möchte, dass die Schweiz ein neues Steuergesetz für Reeder einführt. Dieses soll Schifffahrtsunternehmen nicht nach Gewinn besteuern, sondern pauschal nach der Anzahl Tonnen, die ein Schiff transportieren kann.

2019 MSC nimmt per E-Mail Kontakt auf mit der eidgenössischen Steuerverwaltung: Die Tonnagesteuer sei für das Unternehmen von "äusserster Wichtigkeit".

In guten Geschäftsjahren könnte MSC so mutmasslich Millionen Franken Steuern sparen. Das Familienunternehmen kontrolliert eine gigantische Flotte an Transport- und Kreuzfahrtschiffen, Hafenterminals rund um den Globus sowie eine private Insel auf den Bahamas. In den Corona-Jahren erzielte der Konzern Rekordgewinne im zweistelligen Milliardenbereich. Die Besitzer Gianluigi und Rafaela Aponte zählen seither zu den reichsten Personen der Schweiz.

Weil das Unternehmen keine Geschäftszahlen publiziert, lässt sich nicht berechnen, wie viel Steuern MSC mit dem neuen Gesetz sparen könnte. Doch der Blick nach Deutschland zeigt: Die riesige Reederei Hapag Lloyd versteuerte dank der Tonnagesteuer in manchen Jahren weniger als ein Prozent ihres Milliarden-Gewinns. Dem Staat entging so viel Geld, dass selbst der CEO zugab: "Diese Regelung ist nicht in Ordnung und auch nicht nachhaltig."

Vieles spricht gegen die Einführung der Tonnage-Steuer in der Schweiz. Laut Bundesamt für Justiz verletzt die Bevorzugung einer einzelnen Branche die Verfassung. Niemand weiss, was eine Tonnagesteuer die Staatskassen kosten würde. Zudem könnten auch hochprofitable Rohstoffhändler wie Glencore profitieren, wenn sie Schiffe chartern. Angesichts dieser Punkte bezeichnete selbst die unternehmerfreundliche NZZ die Tonnagesteuer als "kurios" und "skurril".

Trotzdem: Zweieinhalb Jahre nach der E-Mail von MSC an die eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) legt der Bundesrat dem Parlament ein Gesetz vor, das selbst die wildesten Träume der Reedereien wahr werden lässt. Wie konnte das passieren?

REFLEKT hat mit zahlreichen Fachleuten gesprochen und mithilfe des Öffentlichkeitsgesetzes hunderte Seiten interner Dokumente aus der Verwaltung ausgewertet. Wir zeichnen nach, wie sehr sich die Behörden bei der Ausarbeitung des Gesetzes von MSC beeinflussen liessen, welche schwerwiegenden Bedenken sie dabei ignorierten und wie auf diese Weise ein neuer politischer Player entstanden ist.


Ganzer Artikel auf reflekt.ch

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