An Neujahr 1998 strandet im süditalienischen Apulien ein Schiff mit dem Namen "Cometa". Auf ihm befinden sich 386 geflüchtete Kurden. Die meisten von ihnen wollen weiter nach Deutschland, doch der damalige deutsche Innenminister will sie nicht aufnehmen. Stattdessen wirft er der Regierung Italiens vor, ihre Grenzen ungenügend geschützt zu haben. Seit gut einem Jahr ist Italien Mitglied des Schengen-Raums, das die Binnengrenzen Europas aufheben und die Aussengrenzen stärken soll. Zum ersten Mal muss sich das noch junge Grenzbündnis die Frage stellen: Wer ist verantwortlich für die Menschen auf dem Boot?
Zwei Wochen später kommt das Europäische Parlament zusammen, um über ein neues IT-System mit dem Namen "Eurodac" zu diskutieren. Es soll die Fingerabdrücke aller Asylsuchenden registrieren und so sicherstellen, dass sie sich in Europa nicht unbemerkt bewegen können. Angesichts des " Kurdenproblems", so sind sich viele der Politikerinnen an diesem Tag einig, ist seine Inbetriebnahme von höchster Dringlichkeit. Die Sicherheit in Europa müsse gewährleistet sein. Ein grüner Abgeordneter aus Österreich widerspricht: Man verweigere Unterdrückten so das Recht auf Schutz. "Stattdessen überwachen wir sie mit polizeilichen Methoden."
Noch klingt das wie eine Übertreibung.
2003 geht Eurodac in Betrieb. Das markiert den Beginn einer jahrelangen Entwicklung hin zu mehr Datensammlungen über Migrantinnen. In den darauffolgenden Jahren werden ihre Körper vermessen und ihre Bewegungen dokumentiert. Drittstaaten-Angehörige werden unter Generalverdacht gestellt und als Versuchskaninchen für neue Überwachungstechnologien benutzt. Und: Die Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende.
Heute, fast zwanzig Jahre später, steht der grösste Schritt seit der Einführung von Eurodac kurz bevor. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit hat die Europäische Kommission in den vergangenen Jahren einen massiven Ausbau des digitalen Grenzschutzes vorangetrieben. Im kommenden Jahr soll die Zahl der Datenbanken verdoppelt werden. Mehrere von ihnen sollen bis Ende 2023 miteinander verknüpft sein - vor wenigen Jahren war das noch undenkbar. Bei der Einreisekontrolle kommen bald Algorithmen zum Einsatz.
Datenschützer und Menschenrechtsexpertinnen warnen: Durch den Ausbau wachse die Gefahr für rassistische Diskriminierung. Und nicht nur das: Es besteht das Potenzial, dass auch EU-Bürger mithilfe des neuen digitalen Grenzapparats stärker überwacht werden.
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