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Kampf um Rechte: Litauens Schwule haben Angst

Wladimir Simonko und Eduadras Platovas stehen in der Gediminas Avenue.

Während der EU-Ratspräsidentschaft Litauens wollen zwei Schwule zeigen, dass gleichgeschlechtliche Liebe keine Perversion ist.


Das Haus Nummer 22 liegt versteckt in einem Hinterhof, von den cremeweißen Wänden im Treppenhaus bröckelt der Putz. Im ersten Stock öffnen sich drei Schlösser einer braunen Tür, ein großer Mann mit Pferdeschwanz und finsterem Blick versperrt den Weg. Eine Alarmanlage piepst. "Hi, ich suche Wladimir Simonko."


Wladimir Simonko stakst mit steifem Schritt durch das Büro in Vilnius und grüßt mit einem schüchternen Lächeln. Der 49-Jährige ist Präsident der litauischen Organisation für die Rechte der Homosexuellen, der LGL. Seine Aufgabe ist nicht einfach: 2010 hat Litauen ein Gesetz verabschiedet, das Informationen über Partnerschaften, die nicht in der Verfassung vorgesehen sind, als gefährlich für Minderjährige einstuft - und in der Verfassung steht, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann. "Sie finden clevere Wörter, sie umschreiben Homosexualität. Aber de facto verbieten sie ,homosexuelle Propaganda'", sagt Simonko. Als "homosexuelle Propaganda" bezeichnet der staatliche TV-Sender LRT etwa auch ein Video, mit dem Simonko die "Baltic Pride"-Parade im Juli bewerben wollte.


In dem Spot verraten Litauer auf den Straßen von Vilnius, ob sie schwul, lesbisch, transsexuell oder heterosexuell sind. Der Fernsehsender wollte das Video zeigen, aber erst ab 23 Uhr. "Sie wollten ein Siegel einblenden, auf dem ,Nur für Erwachsene' steht. Wie bei Pornografie."Video ist angeblich verfassungswidrigDer Direktor der LRT, Rimvydas Paleckis, verteidigt den Schritt: "Das Video preist gleichgeschlechtliche Partnerschaften an. Das Video ermutigt also, eine Ehe einzugehen oder eine Familie zu gründen, die nicht in der Verfassung von Litauen vorgesehen ist." Nun soll eine Inspektorin für journalistische Ethik prüfen, ob die Entscheidung des Fernsehsenders rechtmäßig war.


Bis 1993 war Homosexualität in Litauen gänzlich verboten. Nur zwei Jahre später haben Simonko und sein Partner Eduardas Platovas ihre Liebe öffentlich gemacht: auf der Titelseite der größten Zeitung Litauens. "Wir waren optimistisch, wir dachten nicht über die Zukunft nach. Aber es hatte seinen Preis", sagt Simonko. Das Paar bekam Probleme mit ihren Nachbarn, Simonko wurde in einem Supermarkt zusammengeschlagen. Die Mutter seines Partners erfuhr von der Beziehung aus dem Fernsehen: Sie sah es in den Morgennachrichten, als die Moderatoren die Zeitungen besprochen haben.


76 Prozent der Homosexuellen fühlen sich diskriminiert


Die Folgen des Coming-outs hallen bis heute nach. "Wir leben isoliert, haben nur einen kleinen Freundeskreis", sagt Simonko. Es ist kein Einzelfall: 76 Prozent der Homosexuellen in Litauen fühlen sich nach einer aktuellen Studie der EU-Agentur für Grundrechte aufgrund ihrer sexuellen Orientierung schwer diskriminiert - das ist der höchste Wert innerhalb Europas. In Österreich sind es 26 Prozent.


"Die Menschen in Litauen sind sehr homogen, sie reagieren negativ auf jede Abweichung", sagt Tomas. Der 24-Jährige spielt mit den Bändchen seines blauen Kapuzenpullovers, auf dem "Männer heiraten Männer, lebe damit" steht. Tomas arbeitet seit November vergangenen Jahres für LGL und steht offen zu seiner Homosexualität. "Ich erzähle jetzt nicht jedem Menschen im Supermarkt, dass ich schwul bin. Aber ich verstecke es auch nicht." Tomas kritisiert, dass das russische Gesetz, das "Propaganda" für Homosexualität verbietet, viel Aufmerksamkeit erhält, während ein ähnliches Gesetz in der Europäischen Union niemanden aufregt. Sein Chef Simonko pflichtet ihm bei: "Viviane Reding (EU-Kommissarin für Grundrechte, Anm.) muss mutiger werden."


Die EU-Außenminister haben ein Abkommen beschlossen, das EU-Botschafter in Drittstaaten verpflichtet, die Rechte der Homosexuellen zu schützen. "Für Europa gibt es aber keine Strategie, kein Abkommen - das ist feige." Simonko hat Angst vor Rückschritten. Viele Litauer verfolgen russisches Fernsehen, in der Öffentlichkeit wird nicht über Homosexualität diskutiert, Aufklärung in Schulen ist verboten. Im Parlament wird ein Gesetzesentwurf debattiert, der "Propagierung" lesbischer und schwuler Beziehungen unter Strafe stellt. Der 24-jährige Tomas denkt manchmal daran, einfach abzuhauen. "Es wäre so einfach, ein Ticket um 100 Euro nach London zu lösen." Ihn bedrückt, dass er keine Pläne für seine Zukunft schmieden kann. "Hier ist alles so undefiniert, ich kann keine Familie gründen, mich nicht verheiraten."


EU-Präsidentschaft als große Chance


Tomas hofft auf den Druck der EU-Präsidentschaft, die Litauen seit Juli für ein halbes Jahr innehat. "Alle Augen sind auf Litauen gerichtet, das wollen wir nutzen." Es gibt Fortschritte. Durch die "Baltic Pride"-Parade und die Berichte davor und danach ist das Thema Homosexualität in der Gesellschaft angekommen: "Schwule werden nicht mehr als etwas Geheimes, als Perversion wahrgenommen, sondern als gewöhnliche Menschen." Als Zeichen dafür hisst Tomas die Regenbogenflagge auf dem Balkon des Büros der LGL: "Vor fünf Jahren wäre das nicht möglich gewesen."


Der neue österreichische Botschafter in Litauen, Johann Spitzer, ist schwul und verpartnert. Zu seinen Erfahrungen in dem baltischen Land will er sich nicht äußern. Vor drei Jahren wäre Spitzer allerdings nur schwul gewesen - Österreich ermöglicht eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft erst seit 2010.

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