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Vergessen, verlassen, vererbt


Ira Kröwang ist eine von wenigen Hundert Erbermittlerinnen in Deutschland. Ihre Fälle führen sie nach Österreich und Kanada. Und tief in das Leben Fremder.

Oskar Maier war einer ihrer größten Fälle. Seine Vergangenheit steht in einem schlichten grauen Ringordner. Papiere und Dokumente erzählen von dem Streit mit der Nachbarin, einer alten Münzsammlung, von 250 000 Euro – ein ganzes Leben zusammengefallen zu einem Stapel Papier und viel Geld. Doch nicht einmal dafür scheint sich jetzt noch jemand zu interessieren. Also beginnt Ira Kröswang in Maiers Leben zu wühlen, um das, was da noch ist, demjenigen zukommen zu lassen, den es angeht. Sie streift durch Archive, recherchiert in Deutschland und anderswo auf der Welt und schließlich ist da jemand. Kröswang sagt:  „Man findet immer einen Erben.” Jemand, der liebte, verachtete, ja, wenigstens jemand, dem das Leben des Toten einfach nur egal war.

Sonst wäre Ira Kröswang nicht vor ein paar Wochen in größere Büroräume am Exerzierplatz im Lupinhaus gezogen. Erster Stock, weiße Wände, Himbeerbonbons amEmpfang, im  leeren Wartezimmer parken Blumenvasen aus Chrom. Modern kommen die Räume daher, als sei man dem grauen, muffigen 80er-Jahre-Gemäuer des Lupinhauses für einen Moment lang entflohen. Kröswang (36) empfängt in hohen Schuhen. An ihrenHänden sitzen Ringe, filigraner Modeschmuck links, ein Ehering rechts, schlicht, nicht protzig. Aber schließlich hat ihre Arbeit ja auch mit Vermögen zu tun. Ira Kröswang ist eine von wenigen hundert  Erbenermittlern in Deutschland.

Es gibt für den Beruf des Erbenermittlers keine Ausbildung, keine Urkunde, die man am Ende entgegennehmen könnte, viele machen es einfach. Kröswang studierte an einer Notarakademie in Stuttgart, bekam eine Zulassung als Richterin in Nachlassgericht, doch arbeitete nie in dem Amt. Die zwielichtigen Gestalten, die durch die Nachlassgerichte ziehen, um sich einen Brocken vom Erbe der anderen zu erschleichen, kennt Kröswang dennoch. Manche, sagt sie, nähmen für die Ermittlung der Erben eine Provision von bis zu 30 Prozent  es Nachlasses. Kröswang nimmt Stundenlohn. Dass Menschen ein schlechtes Bild von dem Beruf haben, sei bedauerlich. Schon deshalb, weil Erbenermittler immer wichtiger werden, in Zeiten, in denen Familienvermögen den ganzen Globus umspannen.

Wie viel die Deutschen genau vererben ist schwierig zu beziffern, da es keine  offiziellen staatlichen Erhebungen zu den Vermögen und Erbschaften der Deutschen gibt. Statistiken beruhen auf Haushaltsumfragen oder auf Steuerberechnungen. Eine Studie desDeutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab, dass Deutschland rund 400 Milliarden Euro im Jahr vererbt. Doch bleibt das meiste Geld bei den Vermögenden, die Ungleichheit in Deutschland steigt. Wenige werden reicher, viele ärmer. Schätzungen zufolge besitzen die obersten zehn Prozent knapp zwei Drittel des Nettovermögens, die restlichen 90 Prozent ein Drittel. Laut Credit Suisse liegt Deutschland auf Rang 117 im weltweiten  Ungleichheitsranking – nach Togo undMarokko.

Dass die Vermögenden ihr Geld inzwischen auf der ganzen Welt parken, sah man kürzlich an den Paradise Papers. Für Erbenermittler mache das die Sache nicht einfacher, sagt Ira Kröswang. Wenn in Deutschland ein Mensch stirbt, fällt das Vermögen automatisch dem nächsten Verwandten zu, ist da niemandmehr, kein Neffe, kein Großneffe, geht das  Vermögen an den Staat. Erben, die später auftauchen, haben 30 Jahre lang Zeit, das Erbe vom Staat einzufordern.

Nachlassgerichte arbeiten deshalb minutiös, sie beauftragen Nachlasspfleger und später Erbenermittler, die beispielsweise die Häuser und Wohnungen der Verstorbenen absuchen, nach alten Fotos, vergilbte Schriftstücke, nach irgendeiner Spur, die sie zu den Erben führt – oder zu noch mehr Geld. „Man muss oft ins Schwarze ermitteln“, sagt Kröswang, ähnlich wie ein Detektiv. Jeder habe da so seine Tricks. Nur ein Beispiel? Vor kurzem hat sie eine Uhr auf einemalten Foto entdeckt, winzig klein war sie am Handgelenk eines Verwandten in der Ecke desBildes zu sehen, groß der Wert. Gerade für die Recherche braucheman viel Zeit, theoretisch Jahre. Doch das schrecke viele ab, auch wenn sie wissen, dass es sich lohnt, sagt die Ermittlerin.

Sowie im Fall von Oskar Maier, der in Wahrheit anders heißt, und dessen Leben sie gerade vor sich auf dem Schreibtisch ausbreitet. Ein paar Hektar Land, eine Eigentumswohnung, alte Münzen, zusammengenommen genau 250 000 Euro. Ein Jahr saß Kröswang an dem Fall, ermittelte bis nach Kanada und Österreich. Sie fährt mit der Hand über ein aufgefaltetes sechzehnseitiges Dokument aus dem Ordner, in demsich der Stammbaum der Familie  erstreckt. Ganz oben stehen die Namen der Großeltern und Urgroßeltern, manche davon rot eingerahmt, für jene, die schon gestorben sind, seitlich die Geschwister, nach unten hin die Kinder. Die Erben. „Hier bin ich am Ziel, erst wenn ich die gefunden habe, bin ich mit dem Fall durch“, sagt Kröswang. Sich nicht in den Namen und Nummern zu verirren, das sei manchmal eine Herausforderung.

Ähnliche Fälle gibt es selten in Kröswangs Branche, gleiche nie. „Man muss erfinderisch sein,“ sagt sie. Häufig führe einen der erste Eindruck in die Irre, zum Beispiel bei dem einen Fall: Die Wohnung des Erblassers war herunterkommen, Schimmel an den Wände, es roch, ein Dasein in Armut, so schien es. Doch auf dem Konto des Mannes befand sich eine halbe Million Euro. Also begann sie zu ermitteln und fand 74 Erben, verteilt auf der ganzen Welt, in Ungarn, Polen, Deutschland. Viele davon hat Kröswang an einen Tisch bekommen, um zu reden, um sich zu einigen. „Große Erbgemeinschaften fürchten oft, in gerichtliche  Auseindersetzungen zu geraten“, sagt sie. Die Wahrheit sei: Die meisten Fälle verlaufen friedlich, zumindest bei Kröswang. Damals war eine der 74 Erbparteien so dankbar, dass sie die Ermittlerin nach dem Fall zum Essen einlud. „Ist das nicht nett?“

Doch gibt es auch die andere Seite. Denn Erben bedeutet ganz oft Neid, Verachtung und Streitereien. Sie habe das erlebt, wie ein Erbe Familien auseinandergerissen hat, sie zu namenlosen Verwandten machte, die sich nicht mehr in die Augen schauen können des Geldeswegen. Manchmal hilft ihr die Mediatorenausbildung, die sie nach dem Studium gemacht hat, um zu schlichten, um Menschen die Angst zu nehmen, die sie haben, manchmal soll es nicht sein. Am Ende gehe es Kröswang darum, Menschen  zusammenzubringen, seriös zu arbeiten. Verdienen will sie natürlich auch, schließlich müsse man schauen, wo man bleibt, schon wegen der Kinder und deren Kinder. Den Erben.

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