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"Den Schwarzen im eigenen Team lieben die Fans"

© Susann Stefanizen / Amnesty

Cem Efe (38) ist Trainer des SV Babelsberg 03. In der Regional­liga Nordost kämpft der Sohn türkischer Eltern nicht nur um Punkte, sondern auch gegen rassistische Diskriminierung und eine von ­Vorurteilen bestimmte Fankultur.

Protokoll: Andreas Koob

Auf der Trainerbank erlebt man teils über neunzig Minuten hinweg extreme Beleidigungen. Das unverdrossene Pöbeln von der Seite lässt einem keine Ruhe. Ich versuche den Spielern beizubringen, dass diese Sprüche nichts mit der Wahrheit zu tun haben. Solche unschönen Minuten sollten uns nicht Tag und Nacht beschäftigen. Denn am nächsten Morgen trainieren wir wieder und respektieren uns.

Ich habe immer wieder Rassismus erlebt. Das ist wie bei einem Kind, das fortwährend gehänselt wird, und es irgendwann gar nicht mehr merkt: Am Anfang mag es komisch sein, dann unschön, bevor es irgendwann dem Anschein nach normal ist, wenn die Leute das immer wieder machen - ohne Bestrafung, ohne Konsequenz.

Ich habe als Trainer die politische Situation im Fußball thematisiert und vieles unternommen. Babelsberg 03 war beim Thema Diskriminierung ohnehin schon immer feinfühlig. Das scheint wie eine Art Schutzschild zu wirken. Es gibt zwar immer noch rassistische Vorfälle, aber es hat sich inzwischen deutlich gelegt.

An unseren Spielorten im Nordosten Deutschlands, wo das gang und gäbe war, scheinen sich inzwischen viele zu überlegen, ob sie sich das noch erlauben können oder ob das nicht ihrem Ruf schadet. Für meine Spieler gilt: Ihr könnt alles sagen, aber ihr dürft niemals diskriminieren. Man kann sich um jeden Ball streiten, aber es darf niemals um irgendwelche ethnischen Hintergründe oder politischen Ideologien gehen. Das lasse ich nicht durchgehen. Fairness muss die Basis sein.

Im Herbst 2015 sind wir zum dritten Mal gegen den FSV ­Zwickau angetreten. Schon bei den beiden Spielen zuvor hatte es unfaire Aktionen seitens des gegnerischen Teams gegeben. In dieser Partie gab es gleich zwei Beleidigungen - und das nicht wegen des Spielverhaltens, sondern aufgrund der Herkunft meiner Spieler.

Nach dem Spiel tat der Trainer von Zwickau so, als sei nichts passiert. Er sagte, er könne seiner Mannschaft ein Kompliment machen. Dabei waren seine Spieler durchs Stadion gerannt und hatten gerufen: "Alles Kanacken hier!" Das Verhalten konnte ich nicht durchgehen lassen. Meine deutliche Kritik wurde vom Nordostdeutschen Fußballverband aber eher heruntergespielt. Es gab eine Geldstrafe, der Rest wurde unter den Tisch gekehrt.

Der Rassismus auf dem Platz ist seit den Neunzigern nicht mehr und nicht weniger geworden. Früher kam er vielleicht offener und extremer daher, heute verdeckter und strategischer. Kriege werden eben immer geführt, nur die Methoden ändern sich. Und Diskriminierung ist auch eine Art Krieg. In der Fan­kultur werden Vorurteile ebenfalls gnadenlos egoistisch ausgespielt: Sobald der schwarze Fußballer für das eigene Team spielt, lieben ihn die Fans. Den schwarzen Spieler der gegnerischen Mannschaft beleidigen und hassen sie.

Es gibt extreme Unterschiede zwischen dem Fußball in West und Ost - auch wenn man im Osten von Verein zu Verein sehr unterscheiden muss. Aber auch abseits des Platzes erlebe ich Rassismus schon seit den Neunzigern: In Rostock wurde unsere Unterkunft bei einer Klassenfahrt von rechten Jugendlichen ­besetzt, und auf Usedom haben mich rechte Schläger während eines Trainingslagers mit vorgehaltener Waffe aus der Disco ­gejagt.

Menschen, die die Realität nicht sehen und wahrhaben wollen, gibt es überall. Wir sollten uns mit Respekt und Liebe begegnen. Auch wenn es Diskriminierung gibt, liebe ich Deutschland. Nicht zuletzt, weil das Land selbstkritisch ist gegenüber Nationalismus und der eigenen Vergangenheit. Die Deutschen schämen sich für das, was in Auschwitz geschehen ist und leugnen es nicht. In der Türkei empfinde ich den Umgang mit der Geschichte anders. Und das ist ein krasser Unterschied, für den ich das Land hier liebe.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe Februar 2017 des Amnesty Journals erschienen.
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