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Streaming pusht Rap

Die Musikcharts sind seit Jahrzehnten ein Indikator für besonders gut gelungene akustische Unterhaltung. Ob es nun in den 80ern "Take on me" von A-ha war, oder in den 90ern "Wind of Change" von den Scorpions - immer hatte eine Chartplatzierung gleichzeitig ein besonderes Flair für die Künstler . Denn in den Charts sammelten sich fast ausschließlich Texte mit großem Unterhaltungswert, eingängigen Melodien oder besonders denkwürdigen Texten.

Groß geändert hat sich das auch heute nicht. Noch immer sind die Musikcharts ein Indikator für qualitativ hochwertige Unterhaltung. Allerdings ist es durch die neuen Medien, also vor allem das Musik-Streaming wie Spotify oder Apple Music oder auch Videos auf YouTube , Twitter , Facebook einfacher für Musiker geworden, einen Platz in den Chats zu ergattern.

Gemeinsam mit der Tatsache, dass in den vergangenen 15 Jahren Sprechgesang (sogenannter Rap oder auch Hip-Hop ) zu der beliebtesten Musikform der Jugendlichen aufgestiegen ist, sowie der sogenannte "Gangster-Rap" von Bushido und Sido anno 2005 einen regelrechten Hype ausgelöst hatte, der bis heute anhält, spülen die Chartplatzierungen immer wieder besonders interessante oder auch skurrile Lieder hervor.

Die beiden Sprach- und Musikexperten Helmut Haberkamm aus Spardorf und Axel (Atze) Bauer aus Höchstadt haben auf einige besonders besprechenswerte Texte einen Blick geworfen.

KC Rebell ist mit 60 Liedern und acht Alben in den Charts vertreten. Allerdings mit wechselnder Reimqualität. In "Größenwahn" etwa textet Rebell, der mit bürgerlichem Namen Hüseyin Kökseçen heißt: "Salutier' stets stramm vor dem Leutnant. KC Rebell spuckt Flammen über Deutschland. Spurte, wenn du uns in der Hood siehst - Brr Uzi Schniedelwutzi."

Haberkamm: Schematisch und unbeholfen

Haberkamm kommentiert diese Zeilen wie folgt: "Knittelverse dieser Machart sind uralt und klingen manchmal lustig, meist aber sind sie eher schematisch und unbeholfen." Die Aussage "salutieren", "Flammen spucken", "spurten" erinnern ihn an die braunen Zeiten von Gewalt und Gehorsam. Haberkamm fragt: "Wer will so etwas ernsthaft wieder haben oder hören?" Am besten sei noch die Lautmalerei und Klangspielerei am Ende. Atze Bauer schreibt zu KC Rebell: "Ich würde auf alle Fälle spurten, wenn ich den Kollegen in der Hood sehen würde."

Noch erfolgreicher ist Rapper Bushido, der mit bürgerlichem Namen Anis Mohamed Youssef Ferchichi heißt. 95 seiner Songs und 23 Alben waren bis heute in den deutschen Charts vertreten. In seinem Song "Komm klar, Spast!" reimt der heute 42-Jährige: "Ich vögel' viel mehr als Vögel ihr Vögel. Und pöbel', pöbel' und pöbel' und pöbel'." Helmut Haberkamm sieht diese Reime durchaus kritisch. "Die Vulgarität der Sprache macht einen sprachlos." Und er zieht einen Vergleich zu Trump. "Beim ehemaligen US-Präsidenten haben wir gesehen, wie eine Verrohung der Sprache auch eine Verrohung der Umgangsformen und eine menschenverachtende Geisteshaltung mit sich bringt. So etwas hat die Welt noch nie gebraucht." Atze Bauer verweist in diesem Zusammenhang auf allgemeine Höflichkeitsformen und kommentiert: "Es gibt ja den Spruch: ‚Wer f***** will, muss höflich sein'. Ob das bei einem pöbelnden Bushido wirklich anders ist? Man weiß es nicht ..."

Der Gangster-Rapper "Undacava", alias Davut Altundal, reimt in seinem Song "F*** auf die Polizei ": "Ich kenne keinen Schlaf, werde nachts zum Bandit. Mein Name wird großgeschrieben - Akkusativ." Experte Haberkamm erklärt dazu: "Die Selbststilisierung zum ,Banditen' ist dem amerikanischen Ghetto-Rap abgekupfert und wirkt in Deutschland stets etwas kindisch. Wir haben hier eine völlig andere Gesellschaft und Geschichte, im Übrigen auch eine völlig andere Polizei , was diese Selbstinszenierung als ,Outlaw' bedenklich erscheinen lässt." Atze Bauer erklärt sich die Herleitung des Rappers so: "Ich habe Akku-Stativ gelesen. Ein Akku-Stativ kann man immer brauchen. Da würde sogar ich zum Banditen - auch ohne Reim. Aber so? Rufen wir einfach die 112."

Haberkamm: D-Bo wirkt pubertär

Noch härter geht Haberkamm mit dem 42-jährigen Rapper " D-Bo " ins Gericht. Der Rapper und Musikproduzent , der auf den bürgerlichem Namen Danny Bokelmann hört, reimte in seinem Song "Schwiegersohn" folgendes. "Ich lasse Nacken knacken - ich gehe nackig kacken."

Haberkamm erklärt dazu: "Knittelverse und Schüttelreime sind ja ganz lustig und spielerisch, ermüden aber schnell. Hier wird mit Gewalt und Provokation gearbeitet, was ziemlich pubertär wirkt. Jugendlichen gefällt das vielleicht noch, aber irgendwann sollte man erwachsen werden." Atze Bauer äußert eine Befürchtung: "Wenn der Rest der Rapper-Szene die Hose beim Kacken anlässt ... na Danke!"

Atze Bauer: Alberne und triviale Verse

Xatar (Giwar Hajabi, 39), der insgesamt mit zwölf Liedern und vier Alben in den deutschen Charts vertreten war, ist bekannt dafür, zu beleidigen. Nur die Art und Weise, wie er reimt, ist von Lied zu Lied unterschiedlich. In seinem Song "Fatales Trio" etwa möchte er seinem Gegenüber klarmachen, dass er ihn für einen "Lutscher" hält. Er wiederholt: "Was ich dir eigentlich sagen will, du Lutscher - ist, dass du ein Lutscher bist - ja, du Lutscher!"

Atze Bauer versteht unter dem "Lutscher" jedoch etwas ganz anderes. "So in der Art sage ich das auch, wenn ich meine Kojak-Imitation-Lollis im Freibad-Kiosk kaufe, entzückend", schildert der Unterhalter augenzwinkernd. Haberkamm ist da versöhnlicher: "Alberne und triviale Verse dieser Art findet man natürlich in der englischen wie deutschen Pop- und Rockmusik in Hülle und Fülle." Und aus dem Zusammenhang gerissen, seien viele Zeilen nur sehr schwer zu bewerten.

Den Charterfolgen der Interpreten haben diese beliebig herausgegriffenen, jedoch seltsam anmutenden Textzeilen jedenfalls nicht geschadet.

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